Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 9, September 2019


Auf zur Oder

von Willi Fendler

 




Ein Bach durchfloss von Ewigkeit zu Ewigkeit unser Dorf. Für Mensch und Tier und alle Lebewesen in der Natur war das klare Wasser lebensnotwendig. Aber auch im Wasser lebte es. Besinnlich kann man doch den nimmermüden Wellen nachschauen, dem immerwährenden Rhythmus der Natur.
Von alters her wurde das Wasser aber auch nutzbringend in das Wirtschaftsleben eingeschaltet und zur Zwangsarbeit verurteilt. Erst mit Beginn des 20. Jahrhunderts lockerte sich der Dienst zum Mühlenantrieb. Mit dem Verlassen des Dorfes Suckau hatte der Bach bereits neun Mühlen und eine Brettschneide in Beiseritz angetrieben. In Stauteichen und Dämmen konnte das Wasser neue Kraft sammeln. In Ober Lindau vereinigte es sich mit dem Weißfurt, aber jetzt mussten schon größere Mühlen angetrieben werden. Bei Költsch mündete der Weißfurt schließlich in die Oder. Das Wasser wurde größer und auch die Mühlen leistungsfähiger. Selbst drei große Mühlen schlossen sich in Neusalz zu den „Vereinigten Mühlen-Werken A. Gr. U" zusammen.
Auf dem Landweg gelangten wir aber schneller zur Oder. Über die Ausläufer der Dalkauer Berge, Milkau - Dreidorf waren es nur neun Kilometer bis Beuthen. Hier in nordöstlicher Richtung bot sich uns eine andere Landschaft, abwechslungsreich. Aber es war doch nur ein Teil des verschiedenartigen Schlesierlandes. Vom Boden geprägt zeigte sich nach jeder Richtung der Stadt ein anderes Bild. Oberhalb der Stadt lag in geschützter Lage der vornehmliche Versorgungsgarten für die Industriestadt Neusalz. Gemüsefelder und Obstplantagen dehnten sich hier aus. Hinter Zäunen reiften herrliche Pfirsiche! Von Beuthen bis Glogau - zwischen den Dalkauer Höhen der Oder - erstreckt sich eine überaus fruchtbare Gegend. Große Bauernhöfe und Güter beherrschen die Dörfer. Unterhalb der Stadt ist Sandboden, ebene Felder und größere Waldstücke; nach der Oder hin Eichen, die jenseits des Stromes gewaltiger werden. Dort liegen oberhalb fürstliche Güter mit allerschwerstem Boden. Darüber hinaus erstrecken sich die unendlich scheinenden Forsten des Fürsten von Carolath, das Schloss unterhalb am Flussufer. Nach dieser Sicht durchstreifen wir das alte Städtchen. Einst die Festung Bytom. Alljährlich viermal fand hier ein lebhafter Viehmarkt statt. Dieser brachte der Stadt den Beinamen „Kuh" Beuthen ein.
Eine lange, hochgelegene Brücke führte an der darunterliegenden Odermühle vorbei. Brücken verbinden - auch hier eine wirtschaftliche Verbindung von größter Bedeutung. Auf fruchtbaren Wiesen unterhalb der langen Brücke stand von Stickstoff geschrieben der Name des Landhändlers. Diese Straße wurde zu Ausflügen benutzt zur Carolather Fliederblüte und weiter zum Schlesischen Meer durch die Heide, vorbei an Walddörfern. Dahinter erblickte man schon die Pfähle der Grenzmarkierung. .
Aber gehen wir wieder zurück zu der schlesischen Lebensader, auf ihr herrscht
Hochbetrieb. Große Schleppkähne bringen vielseitige Frachten. Vornehmlich die Produkte des Oberschlesischen Industriegebietes, aber auch Holzflöße und Personendampfer. Schon von Ferne ertönen die dumpfen Sirenen. Schlepper bringen im Geleitzug leere Lastkähne stromaufwärts. Aber auch kleine Boote verschiedener Art. Fischer gehen ihrem Beruf nach. Es ist bedauerlich, dass ich nicht einmal mit einem Oderdampfer gefahren bin. Nur ein Kahn brachte mich 1945 auf dem Heimweg über den Fluss.
Erinnerlich bleibt auch das Trachtenfest der Zwanziger Jahre. Alle erdenklich historischen Persönlichkeiten zeigten
sich im Umzug. Die Brücke zitterte unter der Last. Selbst der Alte Fritz fehlte nicht! (In dem benachbarten Friedrichslager hatte er einst sein Quartier aufgeschlagen.) Auf einer Freilichtbühne im Oderwald unter gewaltigen Eichen wurde „Die Glocke im Walde" aufgeführt. Anschließend - bei beginnender Dunkelheit - ertönte aus dem Sprachrohr: „In zehn Minuten großes Kunstfeuerwerk an der Oder!" Später waren es die Johannesfeuer, die in den Dreißiger Jahren auf den Höhen längs des Oderufers loderten. Grausame Feuerwerke von 1945 bedeuteten ein Teil der furchtbaren Erinnerungen für diejenigen, die es erleben mussten.
Aber in angenehmer Erinnerung bleiben Ausflüge und Tanzvergnügen in dieser herrlichen Gegend für die einst junge Generation. Denn in einem Oderstädtchen, da wohnte einst ein Mädchen ... Aber die jungen Leute sind alt geworden oder schon vergangen. Gleich Nachtwandlern gehen sie noch einmal die Straßen und Orte einer unvergessenen Heimat.

>Die Oder bei Glogau mit Blick auf den Dom<



Der alte liebe Oderstrom


Kein Fluss kann je mir rauschen

wie eint der Oderstrom.

In seinen Wassern spiegelt

noch heute sich der Dom. 


Kein Fluss lebt mir in Träumen

so reich, so wunderbar

wie er, der in der Jugend

mir stets Begleiter war:


Er schließt in seinen Fluten

der Heimat Leben ein:

den Eisgang tief im Wasser;

des Sommers Blütenschein.


Tagtäglich strömen die Wasser.

Er bleibt doch, was er ist!

Wie unser kleines Schicksal

darüber sich vergisst!


Er gilt mehr als mein Leben!

Und schaue ich zur Nacht

ins dunkel, fern der Heimat:

Er ist es, der mir lacht.


Otto Nisch








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