Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 9, September 2019


Garten der Heimat

 

 



Ein kleiner bescheidener Bauernhof am Ende des Dorfes war mein Zuhause. Im Tal gelegen, von einem Bach durchflossen. Vor dem Haus ein Blumen- und Gemüsegarten mit Beerensträuchern, Pfirsichbäumen und Wein an den Hauswänden; hinter dem Hof Obstbäume aller Art. Vor dem Hof führte die Dorfstraße, eine Durchgangsstraße, vorbei. In einem Plan lagen Felder, Wiesen und Wald. Kiefern-, Birken- und Eichenwälder umgaben die Fluren des Dorfes in Hufeisenform. Hügel umrahmten die Parklandschaft.
Der Hausgarten bot uns das ganze Jahr über Abwechslung. Schwarze, weiße und rote Johannisbeeren eröffneten den Reigen. Erdbeeren folgten. Im Juli reiften süße und saftige Frühbirnen, Weizen- und Flachsbirnen folgten, später Flaschenbirne, Gute Graue, Williams Christ, bunte Blanschau und andere. Dazwischen Süßkirschen und Sauerkirschen.
Vom Sommer an bis in den Herbst hinein reiften aber auch die Äpfel: Frühäpfel, Welsche Weinlinge, dicke Stramel, Porstendorfer (Mönche aus Porstendorf bei Jena sollen diese hartwüchsige Apfelsorte eingeführt haben) u. a. Trotzdem schickte Großvater noch ein Paket von seinen Karthäuser Zwillingsäpfeln. Im Frühjahr konnten wir noch einmal Äpfel verkaufen. Aber schon im Sommer und Herbst fand das Obst im Dorf Abnehmer. Händler brachten es auf die Märkte.
Das köstlichste Obst aber waren die Pfirsiche aus dem geschützten Vorgarten. An den blauen und gelben Weintrauben erfreuten sich außer uns auch noch Wespen und Hornissen. Aus beiden Früchten - „Eigenheimer Wein" und eingeweckten Pfirsichen - bereitete meine Schwester ihre Spezialität: Pfirsichbowle. Auch aus Hagebutten- und Birkensaft wurde ein guter Wein bereitet.
Mühelos reifte im Garten jede Menge Tomaten. Am Feldwege standen auf sandigem Lehm süß-saftige Pflaumenbäume. Die Früchte waren zum Muskochen, Einlegen, Trocknen und Verkaufen da - und zum Unterpflügen, denn nicht zu allen Zeiten waren sie verkäuflich. Aber wer des Weges kam, weiß noch nach Jahrzehnten, wo am zum Teil öffentlichen Wege die süßtesten Pflaumen wuchsen.
Würzige Waldfrüchte bot der erweiterte Garten. Vielseitig war das Angebot der Natur an Feld-, und Waldrändern. Hier wuchsen Erdbeeren in verschiedenen Arten: zum Teil hatten sie festsitzende Kelchblätter. Auf einem nachbarlichen Gelände des Dominiums gab es dicke Brombeeren und Himbeeren. Oft war es eine Streitfrage, in welchem Forst- oder Bauernwald die besten Blaubeeren reiften: in einem Wald mehr und besser als in anderen.
Aber zum Pflücken musste man außer der Kanne auch einen Korb mitnehmen, denn der Wald bot auch Pilze. Pfifferlinge, Steinpilze, Birkenpilze und Grünlinge waren die bekanntesten. Auf den Wiesen wuchsen Champignons. Vornehmlich Sonntagfrüh war in den Wäldern Hochbetrieb aus den umliegenden Dörfern. Nicht nur für den Eigenbedarf wurde gesammelt, sondern auch zum Verkauf. Kinder und auch zum Teil die Älteren wollten ihre Finanzen aufbessern. „Das Geld lag auf der Straße", man musste sich nur bemühen, es aufzuheben.
Unsere Natur ist auch ein Heilgarten. Gegen jede Krankheit ist ein Kraut gewachsen. Man muss nur ein Auge dafür, Sinn und Verständnis haben. Von der Vielzahl unserer Heilkräuter und -mittel nur die wesentlichsten: Wermuth (Artemisia), Tausendgüldenkraut, Baldrian, Huflattig, Kümmel, Schafgarbe, Dreiblatt, Johanniskraut und viele andere wuchsen in der freien Flur. (Am besten am Johannistag von 12 bis 13 Uhr zu pflücken!) Auch Lindenblüten und Holunderblüten und -beeren waren wertvoll und begehrt. Daneben gab es im Garten Pfefferminze und Kamille, ebenso Würzkräuter. Brunnenkresse und Schnittlauch fand man wildwachsend. Aber auch viele unserer Früchte wurden zu Heilzwecken verwandt und boten eine gesunde Ernährung.
Ein schönes Bild boten in der Vormittagssonne die blau blühenden Flachsfelder. Deren Samen und Stengel boten viel für das tägliche Leben, dem Menschen ebenso wie dem Vieh. Auf den Wiesen und Feldern, an Wegrainen, erfreute im Frühjahr eine
bunte Blumenpracht, im Herbst die Büsche mit ihren Früchten. Sie ergänzten und beinhalteten die vielseitig geschaffene Natur. In einem großen Kreislauf ergänzt ein Lebewesen das andere, von Mikroorganismen bis zum Bussard, über allem steht der Mensch als Hüter, der leider oft versagt. Die fleißigen Bienen fliegen von Blüte zu Blume und sammeln für den Winter ihre Vorräte, die wir nutzen.
Das Leben in bäuerlich-dörflicher Umgebung bot in allem eine natürliche Lebensgrundlage. Das eigene Korn wurde vom Wind- oder Wassermüller gemahlen, das tägliche Brot selbst gebacken. Die Milch wurde im Hause zu Butter und Käse verarbeitet. Das Backobst von allen Früchten, in Leinensäcken aufbewahrt, war zum Naschen für die Kinder gesünder als Bonbons. Fremde Färb- und Konservierungsstoffe waren unbekannt wie Giftstoffe. In der Räucherkammer hingen Fleisch- und Wurstwaren. Die Glaskonservierung wurde erst allmählich eingeführt. „Weck" ist weg!" wurde bei fehlender Routine gesagt.
Aber der größte Teil der Obst- und Fleischwaren wanderte dennoch zunehmend in Gläser. — Mutters Spezialitäten bleiben in steter Erinnerung: Schweinebraten mit Klößen und Sauerkraut, schlesischer Streuselkuchen, Mohn-, Quark- und Obstkuchen und anderes. Aber all das war mit Mühe und Arbeit verbunden, mit Sorge für Familie und Besitz.
So vielseitig unser dörfliches Leben auch war, es wurde noch übertroffen von der Heimatlandschaft. Es war eine abwechslungsreiche Landschaft: magere, eintönige Kiefernwälder, fruchtbare Schwarzerdegebiete, sumpfige Moorlandschaften, unübersehbare Fischteiche, Sandboden, Hügellandschaften, Laubwälder und am Horizont die Kette der Sudeten. An deren Fuß lagen wie Perlen an einer Schnur kleine und weltbekannte Bäder im Bäderland Schlesien. Historische Bauten — Schlösser, Klöster, Kirchen und Burgruinen —, geräumige Gutshöfe und langgestreckte Bauerndörfer waren prachtvoll anzusehen. Oft reihten sich kilometerlange Dörfer hintereinander. Für die Ergänzung sorgte eine vielseitige Industrie; vornehmliche Erzeugnisse waren Eisen, Kohle, Holz, Glas, Ton, Stein (Basalt, Granit), Zucker und Konserven.
Maria Theresia sagte einst: „Schlesien ist der köstlichste Edelstein in meinem Diadem."



zum Seitenanfang



zum Seitenanfang