Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 4, April 2015

Stadt und Festung Glogau am Ende

von Ferdinand Urbanek

 

Am Ostersonntag, dem 1. April 1945, wurde die Stadt und Festung Glogau nach sechswöchiger Belagerung durch die sowjetische Armee den Eroberern übergeben. Dieses Datum markiert aus heutiger Sicht das Ende der über 800jährigen deutschen Geschichte der alten Oderstadt, unserer angestammten Heimat.

Zur visuellen Einstimmung und geistigen Rückbesinnung auf die antiösterliche Schicksalsstunde jenes Unterganges unserer Stadt möge die Trümmer-Graphik der Titelseite dienen, die unser Heimatfreund Hans J. Gatzka (Berlin) hier in künstlerischer Eindringlichkeit vorstellt: In der Mitte das Wahrzeichen der Stadt, der Rathausturm — umgekippt, seine einst herrliche Helmspitze schon gelöst vom Sockel und im Begriff zu fallen... auf die Seite der drei Gefallenenkreuze, golgothanisch anmutenden: nach Zahl, Schwarz- und Weißfärbung sowie mit einem Stahlhelm auf dem mittleren, einem Stahlhelm (statt einer Dornenkrone)... Soldatengräber... Ruine Domkirche

>Die Ruine der Domkirche<

Ruine Jesuitenkirche 1957

>Die Ruine der Jesuitenkirche<

Ruine Stadtpfarrkirche

>Die Ruine der Stadtpfarrkirche<


Im unteren Teil Trümmer, nichts als Trümmer... Die knieende Frau mit flehenden Händen auf dem Dach des gestürzten und gespaltenen Stadtpfarrkirchturms: Gibt es keine Rettung mehr?... Hinter ihr aus den Trümmern hervorstapfend: die wenigen Überlebenden, nahezu gesichtslos, weil sprachlos über das Geschehene... Ein unschuldiges Kind an der Hand des ersten, ohne Mutter... Darüber die schwarzen Fensterhöhlen der Rathausfassade, erloschen vom Feuer, das durch sie loderte, tot jetzt, ausgebrannt ... ausgebrannt auch die Kirchen Schifflein Christi links, Jesuitenkirche rechts... gebrochen die Hindenburgbrücke: nur die Hälfte der einst so stolzen Stahlbögen noch sichtbar... Dahinter das zerborstene Dach des Domschiffes, nur sein Turm hielt der Feuersbrunst stand und ragt mit seiner Kreuzesspitze als höchstem Punkt des ganzen Bildes über das Chaos hinaus ... Links davon zwei der bekannten Schlosspappeln... Darunter rechts die Rundung des Hungerturms, der abermals Zeuge schweren Leides geworden ist... Selbst die Natur, dargestellt im entlaubten Baum am rechten Bildrand: gestorben... nur die Oder fließt noch dahinter, weiß, wellenlos...: Das Ganze ein Bild des Grauens, der Zerstörung.Flemminghaus

>Flemminghaus<


Einzig das gotische Spitzbogenfenster, nach oben weisend, mit gut erhaltenem Maßwerk, vor der Mauer des Strebebogenganges am Dom (rechts davon), scheint heil geblieben: Symbol der Hoffnung auf ein Jenseits-des-Unheils? Oder — wie mir der Künstler auf meine Frage hin in eigener Deutung mitteilte — soll es „die weit zurückreichende Kultur unserer Stadt andeuten"? ... Unsere Stadt! Sie ist es nicht mehr... Nur in unseren Hirnen und Herzen lebt sie weiter, dort jedoch tiefer, wenn auch schmerzlicher. „Der Rest ist Schweigen."

Glogau 1. April 1945
v. Hermann Gebhardt +

Ich lebte gern in jener frohen Stadt.
Sie war es nicht, die mich verstoßen hat.

Als ich hinunter in den Keller kroch,
schon grollte Donner, doch da stand sie noch.

Drei Monde lang hielt sie in Rauch und Brand
dem feindlichen Granat-Gewitter stand.

Dann fand ich über Trümmer an das Licht:
Ruinen starrten, sperrten mir die Sicht.

Die Stiefel knirschten über klirrend Glas.
Voran wir Letzten schlurften, stumm und blass.

Gebeugt inmitten dieser dumpfen Schar,
bemerkt ich kaum, was Schlimmes um mich war.

Erst spät begriff ich unter Dorngestrüpp,
dass ich geweilt vor einem Hausgeripp',

in dem ich einst gelebt, geliebt, gelacht
und manchen Vers gebaut in stiller Nacht.

Der Dornbusch höhnte mich, an dem ich lag:
Es war am ersten Osterfeiertag!

Der Morgen, der einst Jesus Christ erweckt,
hat mir die Dornenkrone aufgesteckt.

Zwar stieg ich auch aus einem Grab hervor,
doch drang kein Hallelujah mir ans Ohr.

Ein fremder Mund stieß mich mit grobem Wort
vom Wegerand und aus der Heimat fort.

(bearb. von F. Urbanek)

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