Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 12, Dezember 2010

Rückblick:

29. Bundesheimattreffen des Glogauer Heimatbundes e.V.

in Halle an der Saale 07. – 09. Mai 2010

 

Liebe Heimatfreunde, Dr. Bergner hat unserem Wunsch entsprochen und uns seinen in Halle gehaltenen Festvortrag zugeschickt. Wir sind sehr glücklich darüber, dass nun alle unsere Mitglieder die Möglichkeit haben, im Nachhinein an unserem Heimattreffen ein wenig teilzuhaben: Hier nun der Vortrag vom 9. Mai 2010:


Rede des Beauftragten für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten

Dr. Christoph Bergner


Sehr geehrter Herr Hänel, sehr geehrter Herr Walter,

liebe Mitglieder und Freunde des Glogauer Heimatbundes,


ich darf mich sehr herzlich für die Einladung zu Ihrem 29. Bundestreffen bedanken.

Ich freue mich, nicht nur als Beauftragter für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, sondern als Hallenser und Kröllwitzer, dass ich Sie hier in der Bergschenke begrüßen kann.

Während ich noch in der zurückliegenden Woche zu Veranstaltungen in Nordrhein-Westfalen mehrstündige Autofahrten auf mich nehmen musste, konnte ich zu Ihrem Fest heute mit dem Fahrrad innerhalb von 5 Minuten anreisen. Ich bin aber der Einladung nicht nur wegen der Heimatnähe der Veranstaltung gern gefolgt, sondern auch, weil ich dem Glogauer Heimatbund bzw. der Glogauer Heimatkreisgruppe Anerkennung, Dank und Respekt für Ihre jahrzehntelange Arbeit übermitteln möchte.

Ich möchte den Vortrag, um den Sie mich gebeten haben, nutzen, um zu verdeutlichen, wie das Anliegen Ihres Verbandes, das Anliegen der Charta der Heimatvertriebenen, heute in der Aussiedler- und Minderheitenpolitik, also in meinem Arbeitsfeld, Niederschlag findet.


Gestern vor 65 Jahren endete der 2. Weltkrieg. Sie, die Heimatvertriebenen, wissen nur zu genau, dass mit diesem Tag Leid und Katastrophe für viele noch nicht zu Ende waren. Am 23. Mai, also in einigen Tagen, jährt sich zum 61. Mal der Jahrestag der Beschlussfassung des Grundgesetzes, mit dem im Westen Deutschlands die Basis für eine rechtsstaatliche demokratische Entwicklung gelegt wurde, die schließlich vor 20 Jahren zur deutschen Wiedervereinigung führte.

Wie geht Deutschland, so fragen wir einen Tag nach dem 65. Jahrestag des Kriegsendes, wie geht Deutschland mit dem schrecklichen Erbe aus der Zeit des Nationalsozialismus und des 2. Weltkrieges um?

Bei der Bewältigung und Aufarbeitung der Kriegsfolgen und der Folgen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft bestehen bis heute zwei Aufgaben:


1. die Versöhnung und Wiedergutmachung gegenüber den Opfern dieser Gewaltherrschaft und der Aggressionskriege Hitlers.

Diese Aufgabe reicht bis in unsere Tage. Sie findet ihren Ausdruck beispielsweise in dem Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter, der noch immer ausgereicht wird, oder auch in den jährlichen Beträgen, die an Unterstützungsleistungen an Holocaustopfer gezahlt werden.

Wir dürfen aber neben dieser wichtigen, zentralen Aufgabe ein zweites Anliegen nicht vergessen, das zur Glaubwürdigkeit der Versöhnungs- und Wiedergutmachungsbemühungen gehört.

Dieses zweite Anliegen besteht in dem Bemühen um Solidarität und Ausgleich unter den Deutschen, die von den Folgen des Krieges unterschiedlich betroffen waren.

Denn auch unter den Deutschen war das Kriegsfolgenschicksal sehr unterschiedlich verteilt. Bei den einen blieben Haus und Hof verschont, bei anderen wurde Haus und Eigentum zerstört. Die einen konnten in ihrer Heimat nach der Katastrophe wieder neu beginnen, andere hatten ihre Heimat verloren.

Vor diesem Hintergrund bedeutete Kriegsfolgenbewältigung im Westen Deutschlands immer auch das Bemühen um einen Lastenausgleich. Diejenigen unter Ihnen, die in der sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR groß geworden sind, wissen, dass sich die DDR nicht zu dieser Art von Solidarität mit den Deutschen, die unter den Kriegsfolgen schwer zu leiden hatten, verpflichtet fühlte. Schuld war aus der Sicht des DDR-Staates der Nationalsozialismus, und wer unter den Deutschen besonders davon betroffen war, hatte eben Pech gehabt. Vertriebene konnten über ihr Schicksal nicht sprechen.

Es ist meine feste Überzeugung, dass die Folgen des dunkelsten Kapitels der deutschen Geschichte nur glaubwürdig aufgearbeitet werden können, wenn wir beides im Auge haben: die Versöhnung und Wiedergutmachung gegenüber den Opfern wie auch die Solidarität unter den Deutschen. Dabei wissen wir, dass angesichts der schrecklichen Folgen dieser Zeit beides oft nur als symbolische Leistung erfolgen kann. Aber deshalb war es nach der Wiedererlangung der deutschen Einheit wichtig, dass in den neuen Bundesländern im Rahmen des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes den Vertriebenen wenigstens eine symbolische Leistung in Höhe von 4.000 DM gegeben werden konnte.

Oder um ein jüngeres Beispiel aufzugreifen: Es war für mich außerordentlich wichtig, dass auch die Spätheimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft, die in die sowjetische Besatzungszone bzw. in die DDR entlassen wurden, in dem zurückliegenden Jahr wenigstens einen symbolischen Entschädigungsbetrag erhalten konnten, damit auf diese Weise auch zu dieser Personengruppe, die noch Jahre nach Kriegsende faktisch Zwangsarbeitsverpflichtung hatten, ein Zeichen der Solidarität gesetzt werden konnte.


Wenn wir über Solidarität mit den Deutschen, die ein schweres Kriegsfolgenschicksal zu erleiden hatten, sprechen, so sollten wir auch die Gruppen nicht vergessen, die heute außerhalb unseres Staatsgebietes leben. Die Auslandsdeutschen – ich denke an die Deutschen in Rumänien, in Ungarn und der früheren Sowjetunion. Wir alle wissen, dass der rumänische Staat unter dem Antonescu-Regime mit Hitlerdeutschland kollaborierte und rumänische Einheiten die Deutsche Wehrmacht unterstützten.

Als allerdings 1944 im Lande der Umsturz kam, wurden die Deutschen zu den Sündenböcken erklärt und alle arbeitsfähigen Frauen und Männer zur Zwangsarbeit deportiert. Noch deutlicher wird die Situation bei den Deutschen der früheren Sowjetunion. Keiner von ihnen hat Hitler gewählt. Sie konnten ihn gar nicht wählen. Aber als Hitler die Sowjetunion überfiel, nahm Stalin an ihnen Rache. Nicht, weil sie für diesen Überfall Hitlers schuldig, sondern weil sie Deutsche waren.


Solidarität mit den Deutschen, die ein schweres Kriegsfolgenschicksal erleiden mussten, gilt also auch für diese Gruppen und sie gilt auch für die heimatvertriebenen Deutschen in den ehemaligen deutschen Gebieten.

Sie waren dem Druck der Zwangsassimilation ausgesetzt, und ich darf aus den Ausführungen des Verbandes der Deutschen Gesellschaften in Polen, Herrn Bernhard Gaida zitieren:

Der Wille, der deutschen Sprachkultur treu zu bleiben, wurde in Polen nicht akzeptiert. In den 1950er und 1960er Jahren galt im täglichen Leben das Deutsche als ein Synonym für den Nationalsozialismus.

Als mein Bruder knapp ein halbes Jahr vor dem Schulbeginn begann, Polnisch zu lernen, und mit einem deutlich deutschen Akzent in die Schule kam, wurde er von einer der Lehrerinnen nie anders gerufen als: ‚Du, Hitlerjunge!‘

Das war bereits fast 20 Jahre nach dem Krieg. Im Jahre 1990 wurde ich zum Vorsitzenden des Gemeinderates in meiner Stadt Gutentag gewählt. Im Archiv fanden wir damals einen Ordner voller Strafmandate wegen „Deutschsprechens“, auch zu Hause. Der damalige polnische Bürgermeister erklärte, dass die hohen Geldstrafen die Betroffenen vor der Deportation ins Zwangsarbeitslager geschützt hätten, von denen in Polen mehrere hundert existierten. Viele wurden dorthin allein wegen ihrer Herkunft verbracht, oft weil jemand den Haushalt eines Betroffenen, in dem die deutsche Sprache verwendet wurde, ausgespäht hatte, also nur gerade für das „Deutschsprechen“.

Es wurde bereits viel unternommen, um das Schicksal der nach Deutschland vertriebenen Menschen aufzuarbeiten. Die oberschlesische Tragödie, die auf einem raffinierten System von Festnahmen und Deportationen in die Sowjetunion beruhte, ist aber immer noch wenig bekannt.“


Dies als ein Streiflicht, dass das besondere Schicksal der Heimatverbliebenen in Polen charakterisiert, über das Sie möglicherweise auch aus eigener Anschauung unterschiedliches berichten könnten.


Solidarität mit den Deutschen außerhalb unserer Staatsgrenzen, die ein schweres Kriegsfolgenschicksal erleiden mussten, geschah auf zweierlei Weise:

Denen, die kommen wollten, wurde Aufnahme gewährt. Sie konnten als Deutsche deutsche Staatsbürger in der Bundesrepublik Deutschland werden.

Zum zweiten wurde aber auch immer wieder versucht, vor Ort den Deutschen Hilfe zu leisten, die außerhalb Deutschlands lebten und das bekannte Schicksal erleiden mussten.

Solange der „Eiserne Vorhang“ existierte, waren die Möglichkeiten des deutschen Staates zu helfen gering. Manches geschah auf der Ebene des Freikaufs, etwa bei den Rumäniendeutschen, einzelne Hilfeleistungen wurden zum Teil auf verschlungenen Wegen den Betroffen zuteil. Ihr Gesamtvolumen war jedoch gering.

Als jedoch im Osten der Eispanzer der kommunistischen Diktatur zu tauen begann, durch Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion, Solidarnosc in Polen, die Öffnung des Grenzzaunes in Ungarn, änderte sich das Bild. Es wurde sehr schnell klar, dass die Freiheit und Selbstbestimmung, für die sich die Menschen im ehemaligen Ostblock einsetzten, auch die Freiheit einschloss, sich zur eigenen nationalen Identität zu bekennen und im Rahmen dieser nationalen Identität frei zu organisieren. So entstand in der Sowjetunion unter den Russlanddeutschen die Bewegung „Wiedergeburt“.


In Polen bildeten sich die Deutschen Freundschaftskreise (DFK). Die deutschen Minderheiten in Ungarn und in Rumänien bildeten eigene Organisationen.

Es ist bemerkenswert, dass im Juni 1990 die KSZE, die spätere OSZE, in Kopenhagen eine Konferenz zur „menschlichen Dimension der KSZE“ abhielt. Unter den Dokumenten dieser Konferenz befindet sich die Aussage „Das Recht nationaler Minderheiten auf Wahrnehmung und Entfaltung ihrer kulturellen Identität ist untrennbarer Bestandteil des allgemeinen Verständnisses von Menschenrechten“. Es wurde also deutlich, dass nationale Minderheiten Teil der organisierten Zivilgesellschaft eines freien Landes sind.

Für die Deutschen in der Sowjetunion, in Polen, aber auch in der Tschechoslowakischen Republik war diese neue Freiheit auch der Beginn eines Emanzipationsprozesses aus der Rolle der Sündenböcke und Schuldigen heraus. Mit den Freiheitsbewegungen in den früheren kommunistischen Staaten entfalteten sich auch die Freiheiten der nationalen Minderheiten, auch der Deutschen, in diesen Ländern.


Aber der Fall des Eisernen Vorhangs hatte auch zur Konsequenz, dass die Grenzen durchlässiger wurden und dass die Übersiedlung der Deutschen als Aussiedler nach Deutschland sprunghaft anstieg. Waren es früher nur wenige humanitäre familiäre Zusammenführungen oder im größeren Stile die Freikäufe der Rumäniendeutschen, die die Übersiedlerzahl Deutschstämmiger nach Deutschland bestimmten, so wuchsen nun aufgrund der gewachsenen Freizügigkeit die Zahlen dramatisch an. Zum Vergleich: 1970 kamen nur 19.000 Aussiedler nach Deutschland, überwiegend aus Polen, Rumänien und der CSSR. 1989 waren es 380.000 überwiegend aus Polen und der UdSSR und 1990 400.000 aus Polen, Rumänien und der UdSSR.

Von 1990 – 2010 sind über 3 Mio. Aussiedler nach Deutschland gekommen, 2,3 Mio. davon aus der ehemaligen Sowjetunion. Gleichzeitig wurden in diesen Zeitraum Hilfen für die Deutschen in den Herkunftsgebieten der Aussiedler in Höhe von insgesamt 970 Mio. Euro geleistet.

Es gehört zu den großen Leistungen der Regierung Kohl, dass sie sich auch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zur Solidarität mit den Deutschen im Osten bekannt hat.

Als die Grenzen durchlässiger wurden und Hilfeleistungen möglich wurden, gab es genug Stimmen, die ein Ende der Solidarität mit den Deutschen im Osten forderten. Parolen wie „Deutschtümelei“ machten die Runde. Die Haltung der damaligen Bundesregierung war eine andere. Im September 1989 schuf sie das Amt des Aussiedlerbeauftragten mit der Aufgabe, die Integration der nach Deutschland kommenden Aussiedler zu befördern und die deutschen Minderheiten in den Herkunftsländern zu unterstützen.

Wenn man die Aussiedlerpolitik der letzten 20 Jahre beschreiben will, so wäre es für jede der deutschen Volksgruppen ein eigener Vortrag. Es sei mir gestattet, dass ich mich hier vor Ihrem Glogauer Heimatbund auf die Deutschen aus Polen, d.h., auf die Rolle der Heimatverbliebenen konzentriere.

Hier ging die Aussiedlerpolitik eigene Wege. Als im November 1989 Helmut Kohl in Kreisau zum Versöhnungsgottesdienst mit dem damaligen Ministerpräsident Masowietzki zusammenkam, wurden ihm am Weg von Heimatverbliebenen Plakate entgegen gehalten mit der Aufschrift: „Helmut, Du bist auch unser Kanzler“. Dieser Umstand mag das Bewusstsein für die Brisanz der Situation noch verschärft haben. Jedenfalls einigten sich Masowietzki und Kohl bei diesem Aufenthalt, bei dem noch gar nicht an die deutsche Einheit oder weitere Folgen zu denken war, darauf, den Deutschen, die im früheren Reichsgebiet lebten, einen Staatsbürgerschaftsausweis als Deutsche und damit den deutschen Pass und die doppelte Staatsbürgerschaft zu geben.

Diese Konstruktion, von der nicht alle Deutschen in Polen profitierten, hat eine zusätzliche Steigerung der Aussiedleraufnahme verhindert. Der deutsche Pass gab den polnischen Staatsbürgern deutscher Nationalität Sicherheit, dass sie im Zweifel immer noch nach Deutschland gehen konnten.

Die Wirkung dieser Regelung war nicht nur positiv.

Sie führte zu einer hohen Quote von Arbeitspendlern, insbesondere in den oberschlesischen Regionen. Menschen mit deutschem Pass konnten die Freizügigkeit nach Deutschland schon sehr früh wahrnehmen und folglich in Deutschland oder Westeuropa zum Erwerb harter Währung arbeiten.

Dies hat zu Familientrennungen und auch zahlreichen nicht zu unterschätzenden Problemen geführt. Es hat aber bewirkt, dass die Siedlungsbindung der Deutschen in Polen stabil blieb.

Verfolgt man die Hilfenpolitik der deutschen Regierung für die deutsche Minderheit, so ist rückblickend kritisch anzumerken, dass über einen längeren Zeitraum nicht immer nachhaltige Akzente gesetzt wurden.

Das Schlesische Wochenblatt hat einmal einen Artikel über die Förderpolitik Deutschlands mit der bemerkenswerten Überschrift versehen „Kanalisation statt Sprache“. Die Repräsentanten der deutschen Minderheit legten damals großen Wert darauf, dass Mittel in Infrastruktur und Wirtschaft flossen. Sie sahen darin eine Möglichkeit, ihre eigene Position in der Mehrheitsgesellschaft zu stärken, was dazu führte, dass damals bis zu acht Abgeordnete der deutschen Minderheit im polnischen Sejm saßen.

Über dieser Akzentsetzung sind allerdings die wichtigen Fragen der Sprach- und Kulturförderung verloren gegangen. Es ist in den zurückliegenden Jahren eine erschreckende sprachliche Assimilation festzustellen, die auch dadurch bedingt ist, dass die Instrumente der sprachlichen Minderheitenförderung in Polen der Lage der deutschen Minderheit nicht angemessen sind.

Der polnische Staat zahlt in Schulen mit entsprechenden Minderheitensprachansprüchen zusätzliche Aufwendungen für weitere Unterrichtsstunden in der Minderheitensprache.


Alle diese Instrumente setzen jedoch voraus, dass ein Grundstock familiärer Spracherfahrung vorliegt, die durch den erweiterten Deutschunterricht in den Schulen ergänzt und gefestigt wird. Der Gebrauch der deutschen Sprache in den Familien ist jedoch stark rückläufig. Genaue Angaben sind mir nicht bekannt, aber der Umstand, dass selbst in DFK-Versammlungen polnisch oder wie man sagt „schlesisch“ (was wohl eher ein wasserpolnischer Dialekt ist) spricht, verdeutlichet, dass die deutsche Sprache unter der deutschen Minderheit beträchtlich im Rückzug ist.

Eine aktuelle Zahl hat mich besonders aufgeschreckt:

Bei der kürzlich veröffentlichten Statistik über Sprachabschlüsse bei den Abiturprüfungen haben selbst in der Wojewodschaft Oppeln mit ihrem hohen Anteil an deutscher Minderheit nur 14 % einen deutschen Sprachabschluss im Abitur gemacht. Hier müssen völlig neue Ansätze gesucht werden. Dabei hat es wenig Sinn, den Wettbewerb im Fremdsprachenunterricht mit der Vermittlung von Englisch als Fremdsprache aufzunehmen.

Diesen Wettbewerb haben deutsche Sprachangebote verloren, ehe er überhaupt begonnen hat. Die besondere Chance, der man hier nachgehen kann, besteht in der identitätsstärkenden Wirkung der Sprache für die deutsche Minderheit und in den Vorzügen der Mehrsprachigkeit im europäischen Kontext. Es gibt hierfür in Oberschlesien einige wenige ermutigende Ansätze bilingualer Kindergarten- und Schulbildung, die viel mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung verdienen.

Die Europäische Kommission hat ein Expertengremium von europäischen Intellektuellen eingesetzt, die die Sprachlandschaft in Europa prognostizieren soll. Die Antwort ist beeindruckend: Wenn es dabei bleibt, dass Europa nicht dem Leitbild des Schmelztiegels mit einer Einheitssprache und Einheitskultur folgt, sondern auf kulturelle und nationale Vielfalt setzt, so wird die Mehrsprachigkeit in der Europäischen Union an Bedeutung gewinnen. Wenn dies richtig ist, so haben Regionen mit traditioneller Mehrsprachigkeit wie Oberschlesien einen Standortvorteil. Dieser Standortvorteil ist vielen nicht bewusst. Deshalb haben wir in diesen Tagen bei der Beratung der Förderung der deutschen Minderheit in Polen auch eine Idee unserer Freunde vom Verband der deutschen Gesellschaften aufgegriffen, die eine Kampagne zur Werbung für Mehrsprachigkeit vorsieht. Ich könnte mir vorstellen, dass eine solche Kampagne durchaus als Gemeinschaftsprojekt von deutscher und polnischer Seite verfolgt wird.


Damit bin ich bei dem abschließenden Punkt – der Betreuung der deutschen Minderheit in Polen.

Sie ist mit ca. 350.000 Personen die größte nationale Minderheit in Polen. Ihr Status ist jedoch in vielerlei Hinsicht nicht gefestigt.

Artikel 20 und 21 des Vertrages zwischen Deutschland und Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit sehen für die Angehörigen der deutschen Minderheit in der Republik Polen und für die Personen polnischer Abstammung oder polnischer Sprache und Kultur in Deutschland das Recht vor, sich in eigener kultureller Eigenständigkeit zu entwickeln und die Freiheit von jeglichen Versuchen „gegen ihren Willen assimiliert zu werden“.

Dieser Vertrag wurde 1991 abgeschlossen, wird also im nächsten Jahr sein 20jähriges Jubiläum feiern. Wir haben die Absicht, dieses Jubiläum auch zu einer Bilanz der Erfüllung der Regelung für die deutsche Minderheit in Polen bzw. für die polnischstämmigen Bürger in Deutschland zu nutzen. Hierzu hat eine erste Zusammenkunft unter der Leitung meines polnischen Kollegen Siemoniak, der im polnischen Innenministerium für Minderheitenfragen zuständig ist, und mir stattgefunden.

Teilgenommen hat neben den Dachverbänden der Polen in Deutschland auch der Verband der deutschen Gesellschaften in Polen.

Ich hoffe sehr, dass wir auf diesem Wege ein Gesprächsformat gefunden haben, mit dem wir die weiteren Entwicklungen der deutschen Minderheit in Polen als gemeinsames Anliegen des polnischen und des deutschen Staates verwirklichen können.


Meine Damen und Herren Mitglieder des Glogauer Heimatbundes,

ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass das Anliegen, das Sie über Jahrzehnte zusammengeführt hat, die Bindung an die Heimat und Herkunft, eingebettet ist in Bemühungen, die dieser Bundesregierung wichtig sind. Dabei geht es nicht nur um die Vergangenheit. Diese Bemühungen sind Teil der Gestaltung der Zukunft Europas.

In diesem Sinne Ihnen und Ihrem Verband beste Wünsche.

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