Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 2, Februar 2009

Glogauer Wein

 

von Winfried Ackermann

 

„Auch in Glogau wurde Wein gebaut." So war es im NGA Nr.10/2008 zu lesen. Weiter hieß es, „das allerdings letzte Zeugnis vom Glogauer Gewächs" stamme aus dem Jahre 1650. Dazu möchte ich eine ganz persönliche Ergänzung beitragen. Denn sicher bedeutet diese Jahreszahl nicht, dass nicht in späteren Jahren in unserer Gegend Weinreben gediehen, wenn auch nicht mehr in großer Menge und offiziell.
Meine Eltern besaßen in der Kolonie Friedensaue am Hohlweg, der in der Stadtrandsiedlung lag, einen Garten. An unserer Laube wuchs herrlicher wilder Wein, und irgendjemandem war es irgendwann gelungen, diesem Gewächs eine edle Sorte aufzupropfen. So feierten wir jedes Jahr unsere kleine, private Weinlese. Meine Mutter übernahm danach die weitere Pflege unserer Ernte. Ich weiß nicht mehr, wie und wo die Trauben zu Saft gepresst wurden. Aber an die große grüne Korbflasche in unserer Küche erinnere ich mich noch sehr gut. Sie stand auf einer Bank in der Ecke, und fasziniert beobachtete ich jedesmal, wenn ich davor stand, wie in dem gebogenen Röhrchen oben auf dem Flaschenhals gluckernd die Blasen aufstiegen.
Sicherlich war meine Mutter nicht die einzige Glogauerin, die selbst Wein ansetzte. Doch leider hörte sie irgendwann damit auf. Den Grund dafür kenne ich nicht. Lohnte es sich für sie nicht mehr? War es ihr zuviel Mühe und Arbeit? Störte sie mit einemmal das Gluckern und der Geruch des gärenden Saftes in der Küche? Dass wir eines Tages in eine andere Wohnung zogen, nämlich in die Mälzstraße, fiel zwar mit dem Ende des Kelterns zusammen, kann aber kaum der Grund gewesen sein. Zu dieser Zeit war ich acht oder neun Jahre alt. So hatte ich in meinem jungen Leben zwar die Weinherstellung verfolgen dürfen, aber in den Genuss unseres eigenen Weines war ich trotz großer Neugier nie gekommen.
An meinem 18. Geburtstag, also etwa zehn Jahre später, machte ich ganz unverhofft doch noch Bekanntschaft mit unserm Wein. Ich wusste damals nicht, dass es mein letzter Geburtstag in der Heimat sein sollte. Möglichkeiten dafür gab es zwar genug. Schließlich war ja Krieg, und meine Einberufung stand kurz bevor. Aber an Vertreibung dachte bestimmt niemand.
Es sollte nur eine kleine Feier werden. Mein Vater war sowieso nicht da. Er tat Dienst beim Luftfrühwarndienst in Holland. Ich hatte nur meinen Freund Hermann und die beiden Schwestern Gretel und Christa aus unserem Haus eingeladen. Mutter hatte aus dem Wenigen, das es damals gab, ein „Festessen" gezaubert. Aber der bevorstehende Abschied ließ keine rechte Stimmung aufkommen.
Da kam Mutter ins Zimmer. In der Hand hielt sie eine alte, verstaubte Flasche aus grünem Glas. „Schaut mal", sagte sie, „was ich eben in unserem Keller in der hintersten Ecke gefunden habe. Das ist noch eine Flasche von meinem selbstgekelterten Wein." „Mindestens zehn Jahre alt! Das Zeug kann doch gar nicht mehr schmecken!" rief ich verächtlich.
„Das ist noch gar nicht raus!" widersprach Hermann. „Das hängt doch von der Rebsorte ab!" Nun entbrannte eine lebhafte Diskussion über Weinsorte, Kelterei, Reifegrad, Lagerung und und und..... Und wir taten so, als ob wir etwas davon verständen. Endlich entschloss ich mich ohne große Hoffnung, die Flasche zu öffnen. Was konnten wir schon verlieren? Höchstens etwas gewinnen! War Essig daraus geworden? Schade. Hatte er einfach abgebaut? Auch nicht schlimm.
Ich drehte den Korkenzieher ein, klemmte die Flasche zwischen die Beine, zog kräftig und Plopp! Der Korken roch noch recht frisch. Das gab schon einmal Hoffnung. Ich schnupperte an der Flasche und war entzückt. Aber ich verzog den Mund und schüttelte den Kopf, um die Spannung zu erhöhen.
Endlich floss der erste Tropfen in das Glas. Nach der Manier des Professors aus der ,Feuerzangenbowle' wurde zunächst erst einmal gekostet:„Aber jeder nor einen wenzigen Schlock".
Welch Überraschung! Darin waren wir uns sofort einig. Dieser Tropfen war ein ,Jahrhundertweinchen`! Er floss wie Likör und schmeckte wie Likör! Und er wirkte wie Likör! Aber das merkten wir erst einige Zeit später.
Je mehr sich die Flasche leerte, desto höher stieg unsere Stimmung. Das also bewirkte im Jahre 1942 die letzte mir bekannte Flasche Glogauer Weines; fast 400 Jahre nach der letzten Beurkundung jenes Gewächses in unserer Stadt.
Ohne Bewusstsein dieses historischen Momentes, feierten wir damals das edle Tröpfchen, und glaubt mir, Freunde, es wurde trotz anfänglicher Abschiedswehmut noch ein recht lustiger Geburtstag!

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