Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 12, Dezember 2004

Weihnacht im alten Polkwitz (um 1890)

Nach Aufzeichnungen von Eugen Niedergesäß zusammengestellt und erläutert von Horst G.W. Gleiss (Rosenheim/Obb.)

Schon einmal war in unserer Heimatzeitung von dem Breslauer Standesbeamten, Chronisten und Heimatdichter Eugen Niedergesäß die Rede, der am 13.April 1873 in Polkwitz (Kr. Glogau), dem späteren Heerwegen, geboren wurde und am 7. April 1952 in Königshain (Kr. Rochlitz/Sachsen) verstorben ist. Im Nachlass dieses liebenswerten Heimatforschers findet sich an zwei Stellen auch Weihnachtliches aus Niederschlesien. Ohne eine kurze Einführung wäre das Überlieferte jedoch kaum verständlich. Ich erlaube mir daher, die darzubietenden Texte eingangs zu erläutern und mit überleitenden Worten zu verbinden.

Eugen Niedergesäß hatte eine ältere Schwester namens lda, die am 10.1.1854 als erstes von 10 Kindern der Familie Adolf Niedergesäß in Polkwitz geboren wurde. lda hatte den Wirtschaftsinspektor Bruno Neiweiser geheiratet, der anfangs das Rittergut Arnsdorf bei Polkwitz verwaltete und eine ebensolche Stellung in Gustau (Kr.Glogau) angenommen hatte, einem Dörfchen, das sich in reizvoller Lage an die Dalkauer Berge schmiegte. Bruno Neiweiser verzog später nach Mühlrädlitz (Kr.Lüben), musste die dortige Stellung jedoch bald wieder aufgeben, weil das Rittergut den Besitzer wechselte. Im Sommer 1890 wurde er Amtmann und Verwalter der Güter von Prinz Schönaich-Carolath in Sabor, dem späteren Fürsteneich (Kr. Grünberg /Schles.) Unabhängig von diesem mehrfachen, beruflich bedingten Wechsel des Wohnortes gehörte die Familie Niedergesäß zum Weihnachtsfest zusammen. Da trafen sich alle Geschwister mit ihren angeheirateten Schwiegersöhnen und -töchtern wieder im Vaterhaus in Polkwitz. Und eben über eines dieser alljährlichen Wiedersehen zum Christfest berichtete Eugen Niedergesäß auf Seite 3 seines vierseitigen Typoskripts, das er "Die Polkwitzer Geschwister Niedergesäß und die Gustauer" überschrieben hat:

"Zu den Weihnachtsfeiertagen kamen die Gustauer immer nach Polkwitz, auch als die Kinder noch klein waren. Auch nach der Übersiedlung nach Mühlrädlitz änderte sich daran nichts. Meist trafen sie mit dem auf Schlittenkufen gesetzten, geschlossenen Wagen während des Gottesdienstes am Heiligen Abend ein. Wenn wir in der Kirche waren, hörten wir ihr Schlittengeläut, das Bruno von uns übernommen hatte. Wie groß war dann die Freude, wenn die lieben Gäste, alt und jung, uns schon in der Haustüre erwarteten. Das für uns in Polkwitz traditionelle Weihnachtsabendessen eröffnete Schwester Selma immer mit den vom Vater gebrauchten Worten: "Heute könnt ihr euch alle mal satt essen."' Es gab Brühe in Tassen, Schweinsrippchen mit gebackenen Birnen und Kartoffeln, darauf noch dicke, gute Blutwurst mit Sauerkraut und Kartoffeln.

Dann wurde die Jugend in den sog. "Laden" geschickt, wo wir aufgeregt und erwartungsvoll durch die mit leichten Vorhängen verhüllten Scheiben der Küchentüren etwas von den Vorgängen im hinteren Zimmer zu erspähen versuchten. Flammten dann die ersten Lichter am Christbaum auf und ertönte darauf die vom Bruder Paul geblasene Kindertrompete, dann stürmten wir jubelnd in die Wohnstube, um beim Glanz des Lichterbaumes alsbald wieder zu verstummen. Nach dem Gesang der Weihnachtslieder wurde erst schüchtern, bald aber dreister der reichlich bestellte Gabentisch besichtigt, wo jeder zu seiner Freude das fand, was er sich gewünscht hatte und noch manches mehr."

Ja, das war ein Stimmungsbericht aus dem Kleinstädtchen Polkwitz vor rund 115 Jahren. Aber noch an anderer Stelle hat uns Eugen Niedergesäß Weihnachtliches hinterlassen: am Ende einer ebenfalls unveröffentlichten Maschinenschrift, die er mit dem Titel "Meine Schulzeit" versehen hat. Die Schilderung bezieht sich auf das Jahr 1890, als in der Liegnitzer Ritter-Akademie die Weihnachtsferien begannen. Unser Chronist schrieb:

"Nach der Schulentlassungsfeier in der Aula waren wir frei und rüsteten uns nach dem Mittagessen zur Fahrt nach Polkwitz. Der Zug führte uns nach Lüben, wo am Bahnhof schon der Postwagen nach Polkwitz stand. Aber erst fuhr er noch in den Hof des Postamtes ein, wo wir fast eine Stunde im dicht besetzten Wagen warten mussten, bis die zahlreichen Weihnachtspakete und Briefschaften gebracht und verstaut worden waren. Dann erst - wir waren durch das lange Warten schon etwas ängstlich geworden - setzte sich der Wagen gemächlich in Bewegung, und die müden Gäule zottelten mit uns langsam durch die Stadt. Es hatte geschneit. Das Tempo der Fahrt ließ noch weiter nach, und der Postwagen schaukelte wie ein Kahn im Sturm. Das war mehr, als wir vertragen konnten. Nach einer knappen halben Stunde verließen wir das Gefährt, gaben dem Kutscher den Auftrag, den Schwestern in Polkwitz den Reisekorb zu geben und ihnen zu sagen, dass wir zu Fuß nachkommen würden. Wir hatten noch gut anderthalb Meilen zu marschieren - in Dunkelheit und Schnee. Aber nach gar nicht langer Zeit waren wir unseren "Kater" gänzlich los und kamen nicht viel später nach Polkwitz als die Post. Die Schwestern freuten sich, und auch in uns war die Ferien- und Weihnachtsfreude wieder erwacht."

Dem muss man noch ergänzend hinzufügen, dass Eugen und sein Bruder Reinhold einer damals verbotenen Schülervereinigung beigetreten waren, der "AcKn" (Akademistenkneipe). Dieser Kreis von Schülern der Oberstufe des späteren Johannes-Gymnasiums tagte jeden Mittwoch und Sonnabend an einem runden Tisch im Erker des Schießhauses zu Liegnitz und hatte am Vorabend ausgiebig eine "Weihnachtskneipe" gefeiert, auf der kräftig gezecht worden war!

Zu Weihnachten wurde freilich damals nicht nur reichlich gegessen, liebevoll geschenkt und auch einmal alkoholisch gefeiert. Dies beweist ein inniges Weihnachtsgedicht, das unser niederschlesischer Volksdichter zum Abschluss seines Kapitels folgen ließ. Diese Reime harren seit vielen Jahrzehnten einer Veröffentlichung. Die schönen Verse zeigen, dass Eugen Niedergesäß nicht nur mit allen Fasern seines treuen Herzens an seiner Heimat hing, sondern auch eine enge Bindung an Gott hatte und tief im christlichen Glauben verankert war. Mit diesem Gedicht, das keine Überschrift trägt, wollen wir unser weihnachtliches Gedenken an Eugen Niedergesäß und sein geliebtes Polkwitz beschließen. Es lautet:

Vollmondschein am Himmelszelt,
taghell ruhen Wald und Feld.
Mit dem Monde, nah und fern
leuchten funkelnd Stern auf Stern,
unzählbar, wie der Sand am Meer,
wie wenn im Himmel Weihnacht wär.
In seinem weiten Weltenraum
putzt Gott für uns den Lichterbaum.
Erkenn', o Mensch, in dieser Pracht
des ew'gen Schöpfers große Macht!
Manch' Lichtlein, das wir oben seh'n,
ist, wie die Erde, groß und schön.
Und manches ferne Sternelein
kann Sonne großer Welten sein.
Unendlichkeit in Raum und Zeit -
das fasst kein Mensch im Erdenkleid.
Geht er dereinst zum Himmel ein,
dann wird er sich des Wissens freu'n.
Hier ahnt er Gottes Allmacht nur
im Blick auf Himmel und Natur.
Erkenntnis schenkt ihm Gott noch nicht;
der Glaube erst führt ihn zum Licht!

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