Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 3, März 2004

Schlichtingsheim 53 !

Erinnerungen an Schwusen.

Der Bericht des Herrn Dr. Sprungala, NGA 1/04, aus mittelalterlicher Vergangenheit dieses Dorfes hat mich dazu veranlasst, etwas von dem dortigen Gutsbetrieb aufzuschreiben. Unter Schlichtingsheim 53 war die Eberhard Gilka-Bötzowsche-Gutsverwaltung telefonisch zu erreichen. Von Ostern 1943 - Sept. 44 war ich dort als landw. Lehrling beschäftigt. Landw. Lehrling war zu dieser Zeit meine offizielle Berufsbezeichnung. Zuvor hatte man eine 2jährige Landarbeitslehre abzuleisten. In der Rangordnung, die es in der Verwaltung großer Güter auch gab, war man in dieser Position Volontär, Eleve oder Assistent und man hatte die Aufgabe dem Chef behilflich zu sein.

Mein Chef war der Oberinspektor Heinrich Gründahl, ein sehr erfahrener Herr, etwas über 50. Der Betrieb war über 1000 ha groß und dazu gehörte ein Vorwerk in Hortingen, es lag schon im Kreis Guhrau, zwischen Bartsch und Oder, etwa 2 km entfernt. Dort war als Vogt mit der Kompetenz eines Inspektors Artur John für den Betriebsablauf zuständig. Der Gesamtbetrieb war auf Sachgutvermehrung spezialisiert und hatte nicht nur auf diesem Gebiet einen guten Namen. Neben dem Anbau aller Getreidearten wurden auch Mais und Ölfrüchte vermehrt; außerdem in großem Umfang Kartoffeln und eine kleine Fläche diente der Vermehrung von Futterrübensaatgut. Es gab auch Vertragsanbau für Zuckerrüben, d.h. ein Lieferkontingent bei einer Zuckerfabrik. Naheliegend war die in Fraustadt.

Auffällige Bauten auf dem Hof waren neben dem etwas abseits stehenden Schloss, die Brennerei am Bartschufer und der große Getreidespeicher mit Lagerfläche in 3 Etagen. Für alles war man bestens ausgestattet und eingerichtet. Es gab 12 Pferde und ebenso viele Ochsengespanne, die je zur Hälfte in Schwusen und Hortingen in den Ställen standen. Ein Lanz Bulldog 55 PS und einer mit 45 PS sowie ein 20 PS Traktor, der schon als Geräteträger konstruiert war, lassen erkennen, dass ein hoher Technisierungsstand erreicht war. Die größte Schlagkraft war aber durch das Vorhandensein eines Dampfpfluges gewährleistet. - (Bild)

Im Kuhstall in Schwusen standen ca. 40 Kühe die von der Kinderreichen Familie Schönfeld versorgt wurden. August Schönfeld war Melkermeister, man sagte, Oberschweizer. Die täglich erzeugte Milch wurde von Heinrich Münzer, einem Bauern aus dem Dorf, zur Molkerei nach Schlichtingsheim gefahren.

Auch ca. 250 Merino-Fleischschafe wurden auf dem Gut gehalten. Die Tagesarbeitszeit war von 7.00 - 12.00 Uhr und von 13.30 - 18.30 Uhr, also 10 Stunden. Morgens und mittags wurde dazu die Glocke geläutet. Dieses Läuten konnte keiner so perfekt wie der alte Gruhn, der, obwohl schon fast 70jährig, noch immer als Vogt beschäftigt war. Es war Krieg und man brauchte seine langjährige Erfahrung. Er wusste, was Menschen und Tiere leisten konnten, er wusste mit ihnen umzugehen, konnte anleiten und kontrollieren. Er konnte Leistungen bewerten und dabei war er unbestechlich. Besonders für Lehrlinge wie mich, war es klug, sich sein Vertrauen zu erwerben.

Das tägliche Arbeitsprogramm wurde jeden Abend im Büro für den nächsten Tag festgelegt. An dieser Besprechung nahmen teil, der Chef, der Vogt und der Lehrling. Zeitweilig waren auch 2 Lehrlinge dort. Was in Hortingen zu erledigen war, wurde dem Vogt per Telefon übermittelt. Herr Gründahl fuhr aber täglich mit dem Einspänner dorthin, um den Kontakt und die Übersicht zu behalten. Mit diesem luftbereiften leichten Kutschwagen machte er auch fast täglich seine Inspektionsfahrten in der Schwusener Feldmark.

Schwusen

Lokomobile

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Schwusen: Salzspeicher, Brennerei + Windrad, Schloss
Meine Aufgaben waren nun, jahreszeitlich bedingt, sehr abwechslungsreich. Dünger- und Saatgutmengen auf die Feldgröße berechnen und deren Ausbringung beaufsichtigen. Die Grillmaschine abdrehen und evtl. Reihenabstand verändern. Das richtige Saatgut aus dem Speicher ausgeben, Sacketiketten der kostbaren Ware prüfen und aufbewahren. Es war in der Regel Elite- und Hochzuchtsaatgut, welches für die Vermehrung zum Anbau kam. Bei der Ernte erhielt man dann eine Ware die jeweils eine Kategorie niedriger eingestuft war. Das bedeutet, aus Elite wurde Hochzucht und aus Hochzucht anerkannter Nachbau. Heute spricht man auf diesem Gebiet von Basis- und zertifiziertem Saatgut. Voraussetzung war aber immer, dass die Qualitätsanforderungen erfüllt wurden. Als Stichworte sind hier zu nennen: Sortenechtheit, Reinheit, Keimfähigkeit, Hektolitergewicht und die Ware musste schädlingsfrei sein. Um das zu erreichen, waren die zur Saatgutvermehrung bestellten Flächen anzumelden. Während der Vegetationszeit gab es danach Feldbesichtigungen von Kommissionen, die zur Saatenanerkennung qualifiziert waren. In einem Weizenfeld durften dann z.B. keine Roggenhalme oder zuviel Windhalm sichtbar sein, oder in einem Kartoffelschlag durften sich keine Stauden finden, deren Blüten farblich abweichend waren von der sortentypischen Farbe. Fremdblühende und viruskranke Stauden mussten vor Anerkennung völlig aus dem Bestand entfernt werden. Da war man manchmal tagelang mit Mitarbeitern in einem großen Kartoffelacker. Nach der Feldanerkennung gab es im Betrieb genügend technische Einrichtungen für die weitere Saatgutaufbereitung. Für Kartoffeln große Sortiermaschinen und für Getreide die modernsten Einrichtungen einschließlich einer Trocknungsanlage. Um Qualitätseinbußen zu vermeiden, musste die eingelagerte Ernte ständig auf Temperatur und Schädlingsbefall, z.B. Kornkäfer, Mäuse und Fäulnis überprüft werden.

Bei der Ernte waren die Mengen festzustellen und aufzuschreiben, wo was gelagert war. Getreide im Speicher, Kartoffeln in Mieten. Es gehörte ferner zu meinen Aufgaben Waggons zu ordern, Frachtpapiere auszufüllen, Saatgutsäcke etikettieren und zu verplomben sowie deren Verladung überwachen. Alles was im Betrieb so ablief, musste abends in einem kurzen Text im Tagebuch eingetragen werden. Darin waren auch Spalten für Erntemengen, Verbrauch an Saatgut und Dünger, Zahl der eingesetzten Gespanne und der Beschäftigten. Auch eingehende Waren wie Brennstoffe, Schmiermittel u.s.w. mussten aufgelistet werden. Immer am Ende eines Monats war aus den Tagebuchnotizen eine Fortschreibung in einem Produkten- und Naturalienregister vorzunehmen. Die dort bilanzierten Mengen wurden von Zeit zu Zeit mit den tatsächlichen Beständen in den Magazinen und sonstigen Lagerstätten verglichen und man war froh, wenn hierbei nicht zu große Differenzen festgestellt wurden. -

Die betriebliche Korrespondenz und die Buchführung erledigte Frau Homann, später Frl. Hubrich. Diese Damen hatten auch die Lohnabrechnung zu erstellen und waren darauf angewiesen, dass wir aus der Außenwirtschaft exakte Angaben dazu ablieferten, besonders dann, wenn es zeitweilig Akkordlohn gab. -

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Lokomobile zum Dampfpflügen
Im Büro waren alle Schlüssel für Speicher, Schuppen und Scheunen. Wir Lehrlinge hatten uns davon zu überzeugen, dass abends alles abgeschlossen war. Der auf dem Gut angestellte Nachtwächter, Herr Carli, kontrollierte seinerseits das ganze Gelände während der Nacht. Am Tage war er noch wenige Stunden im Schloss als Hausdiener tätig. Ob er Nachts gewissenhaft seine Runden gegangen war, hatte Herr Winkler zu beaufsichtigen, der sich täglich den Streifen aus Nachtwächters Stechuhr vorlegen ließ. Herr Winkler war Brennmeister und hatte seine Wohnung in dem Gebäude, wo es im Winterhalbjahr mit Personal dafür zu sorgen hatte, dass das Kontingent für die Spiritusherstellung erfüllt wurde. Außerdem war Herr Winkler ganzjährig mit sonstigen wichtigen Aufgaben betraut. Ihm unterstanden die hofeigenen Werkstätten, Schlosserei, Schmiede und Stellmacherei. Die Sattlerei war in privaten Händen und in der Gärtnerei waren erfahrene Frauen zuständig.

Damit habe ich den Betrieb und seine Schaltstellen im Wesentlichen vorgestellt. Er hat fabelhaft funktioniert! Naturgemäß konnte meine eigene Funktion darin nur eine Kleine sein, ich war da, um etwas zu lernen. Der auf 2 Jahre laufende Lehrvertrag ging im Herbst 44 zu Ende weil ich, 17jährig, zum Arbeitsdienst eingezogen wurde und anschließend zum Militär musste.

In den Dörfern Ostdeutschlands war es fast die Regel, dass es darin Schlösser oder Herrenhäuser gab in denen Familien wohnten, die über großen Landbesitz verfügten und dementsprechend einen herrschaftlichen Lebensstil pflegten. Zum großen Teil waren das Adelige mit bekannten Namen. In der Nähe zu solcher Herrschaft war es selbstverständlich, dass auch in den Häusern der Güterdirektoren, der Oberinspektoren und der Verwalter ein gehobener Lebensstandard an den Tag gelegt wurde. In dieser gesellschaftlichen Umgebung hatte ich, aus klein bäuerlicher Familie stammend, sehr viel zu lernen.

Im Hause der Familie Gründahl wurde ich grundsätzlich mit Sie angeredet. Das Frühstück bekam ich vom Dienstmädchen aufs Zimmer gebracht. Die gemeinsamen Mahlzeiten wurden im Esszimmer serviert. Silberbesteck und damastene Servietten waren das ganz Normale. Die Dienstmädchen nahmen derweil ihr Essen in der Küche ein. Damit will ich eine Rangordnung aufzeigen, die sich in Jahrhunderten so etabliert hatte. Für einen heutigen landw. Lehrling sind solche gesellschaftlichen Strukturen kaum noch vorstellbar. Ich hatte das Glück auf diesen Hof zu kommen und das alles zu erfahren. Sehr gerne denke ich an diese Zeit zurück. Es waren gut 500 Tage, die ich in Hausgemeinschaft mit der Familie Gründahl verbracht habe.

In meiner Erinnerung sind aber auch alle, die vielen Leute, die ich noch nicht genannt habe. Frauen sind es und Männer, Deutsche, ital. Gastarbeiter, polnische Familien, franz. Kriegsgefangene und russische Kriegsgefangene. Sie waren Handwerker, Maschinisten, Gespannführer oder waren in Kolonnen bei Feld- und Erntearbeiten im Einsatz. Sie hatten Namen, Gesichter und Schicksale, die bleiben lebendig in meinen Gedanken.

Die Wahrzeichen des Gutes sind weitgehend verschwunden, der Park in seiner ursprünglichen Ausdehnung war 1997 noch da. Es stand noch der Kuhstall und der Saatspeicher. Das Dorf schien weitgehend unverändert zu sein.

Aus Schwusen ist Wyszanow geworden!

Herbert Hoffmann, Am Laubberg 24, 51702 Bergneustadt

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