Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 3, März 2003

Stichwort "Revanchismus"

Der in Gießen lehrende Soziologe und Politologe Samuel Salzborn hat uns dank seines engen Verhältnisses zur äußersten Linken von gestern und heute aus den Akten der ehemaligen DDR kürzlich mitteilen können: "Die Verwendung des Begriffes Revanchismus in seiner heute auf die Vertriebenenverbände und die deutsche Außen- und Innenpolitik bezogene Bedeutung wurde in der DDR geprägt". Den Satz fortsetzend muss aber gesagt werden: Trotz des Endes der kommunistischen Herrschaft ist der Begriff "Revanchismus" nach wie vor virulent und im Umlauf, sobald es sich um die deutschen Heimatvertriebenen handelt.

Befragen wir den "Duden. Rechtschreibung der deutschen Sprache" unter dem Stichwort "Revanchismus": "Nationalistische Vergeltungspolitik". In der "Brockhaus-Enzyklopädie" heißt es: "Politisches Schlagwort, bezeichnet eine nach Vergeltung strebende Außenpolitik". Im "Etymologischen Wörterbuch" wird tiefer geschürft: "Von französisch revancher rächen, sich Anerkennung verschaffen, altfranzösisch vencher rächen, ahnden". Die Charta der deutschen Heimatvertriebenen, auch das Grundgesetz der Vertriebenen genannt, vom 05. August 1950 hebt mit dem Satz an: "Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung. Dieser Entschluss ist uns ernst und heilig im Gedenken an das unendliche Leid, welches im Besonderen das letzte Jahrzehnt über die Menschen gebracht hat".

In Hannover war ins Gespräch gekommen, dass sich die Niedersächsische Landesregierung bereit erklärt habe, einem Deutschlandtreffen der Schlesier, falls man sich für Niedersachsen entscheiden könne, finanzielle Unterstützung zu gewähren. Sofort war die Niedersächsische Landesvereinigung der Verfolgten des Naziregimes und Bund der Antifaschisten (VVN / BdA) mit geharnischten Protesten zur Stelle. Laut der Veröffentlichung in der eigenen Monatsschrift "Schädelspalter", erklärte der Landessprecher in einem Offenen Brief, dass die Aktivitäten der Vertriebenen deutlich erkennbare Revanchistenbestrebungen sind. Wörtlich wird aus dem Offenen Brief zitiert: "Man muss den Menschen erklären, dass es sich bei der Landsmannschaft Schlesien nicht um irgendeinen Trachtenverein handelt. Durch die Schaffung von Sonderrechten einer deutschen Minderheit in den früheren Ostgebieten greifen die richtig in die Außenpolitik ein. Eine finanzielle Unterstützung solcher Bestrebungen, obendrein aus Steuermitteln, ist politisch unverantwortlich und für ein friedfertiges Miteinander in Europa brandgefährlich". Der SPD-Fraktionsvorsitzende des Niedersächsischen Landtages Axel Plaue habe darauf geantwortet, dass die Landsmannschaft Schlesien in den vergangenen zehn Jahren einen Kurswechsel vollzogen habe, weshalb er für eine finanzielle Unterstützung sei. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, lehnt, wie uns mitgeteilt wird, "eine Bezuschussung nach wie vor ab". Das Deutschlandtreffen der Schlesier im Jahre 2003 wird wie seit 1991 wieder in Nürnberg stattfinden, hatte sich doch die Bayerische Staatsregierung als Retter in der Not bewiesen, nachdem die Regierung unter Gerhard Schröder und Jürgen Trittin in Hannover der Landsmannschaft Schlesien 1990 jede Unterstützung verweigert hatte.

In der Sendung "Alte und neue Heimat" des Westdeutschen Rundfunks, bekanntlich seit September 2002 unter neuer Leitung nach dem Ausscheiden von Gudrun Schmidt, machte die für die Vierteljahresschrift "Kafka" verantwortliche Redakteurin Ingke Brodersen die wohlwollend gedachte Bemerkung, dass die Vertriebenenverbände heute wohl nicht mehr als revanchistisch zu bezeichnen seien, dies aber in den 50-er und 60-er Jahren der Fall gewesen sei. Wenn dem so gewesen sein sollte, dann haben die Bundeskanzler Konrad Adenauer und Ludwig Erhard, der Regierende Bürgermeister von Berlin und spätere Bundeskanzler Willy Brandt, haben Franz-Josef Strauß (CSU), Herbert Wehner (SPD) und der FDP-Vorsitzende Erich Mende, also Demokraten ersten Ranges, vor Revanchisten gesprochen, als sie auf den Deutschlandtreffen der Schlesier das Wort genommen hatten.

Für Professor Dr. Julian Nidda-Rümelin, als er, in der vorigen Bundesregierung Staatsminister für die Angelegenheiten der Kultur und der Medien, am 16. Mai 2002 seine Rede zum "Zentrum gegen Vertreibungen" zu Protokoll gab, waren auch noch in den 70-er Jahren die Vertriebenen "nicht frei von revanchistischen Tönen", indem sie gegen die euphoristische Entspannungspolitik des Bundeskanzlers Willy Brandt opponierten.

Frage an all diejenigen, die sich des Schlagwortes "Revanchismus" bedienen und die Vertriebenen "Revanchisten" nennen: Mit welcher Begründung geschieht das, wo sind die Beweise, warum werden jetzt die Vertriebenen vom "Revanchismus" frei gesprochen - vielen Dank für den Gnadenerweis! - warum wird nach wie vor behauptet, dass es sich bei den aus der Heimat vertriebenen Mitbürgern um Revanchisten handele.

Es ist leider eine alte Übung, mit Verdächtigungen einer bestimmten Gruppe in Staat und Gesellschaft einen Makel auszudrücken, um dann auch gleich angesichts dieses Makels in den Angriff überzugehen und das Ziel der Ausgrenzung mit jeweils sichtlichem Erfolg, wie wir wissen, nicht nur anzuvisieren, sondern auch zu erreichen. Das ist den Juden bis zum Verbrechen des Holocaust widerfahren, dem sind jetzt die USA ausgesetzt, denn sie strebten doch nur nach Macht und Öl. Aber auch die Mohammedaner haben sich dagegen zur Wehr zu setzen, dass man sie nicht kollektiv zu Terroristen erklärt.

Die Vertriebenen trifft es aber besonders schwer und dies aus mehreren Gründen.

1. Ein von den Kommunisten in die Welt gesetztes Stich- und Schlagwort ist immer noch im Umlauf, als verbale und politische Waffe gegen die Vertriebenen. 2. Es gibt keine Beweise dafür, dass sich die Verbände der Vertriebenen und deren Verantwortungsträger im Sinne von "revanchistisch" verhalten oder gar gehandelt haben. 3. Niemand außer den vom Schlagwort "Revanchismus" unmittelbar Betroffenen nimmt Stellung, um Vorwurf und Anklage, die mit diesem Schlag verbunden sind, zurückzuweisen und sich vor die Vertriebenen zu stellen. 4. In den früheren Ostblockstaaten des sowjetischen Imperiums hat dieses Totschlagwort "Revanchismus" seine Existenz ausgehaucht, aber in der Bundesrepublik Deutschland ist es immer noch und immer wieder bei Kräften. 5. Auch Meinungsfreiheit und Toleranz haben ihre Grenzen. Darum Kampf dem "Revanchismus", diesem Stichwort. Einen realen, realistischen Revanchismus gibt es nicht, darum muss ein solcher auch nicht bekämpft werden. Gäbe es diesen, wäre dies selbstverständlich geboten.

Herbert Hupka

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