Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 10, Oktober 2002

Heimatgrüße von der Niederlagstraße

Fort Malakoff

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Zu friedlichen Zeiten unserer Stadt stehen die beiden Domkinder – “Domer”, wie sie sich oftmals gerne selbst nannten – auf der Niederlagstraße, am Fischereihafen. Hinter ihnen macht sich das Panorama eines Teils unserer Heimatstadt Glogau auf. Der Blick schließt den Nordrand der Altstadt ein, vom Schloss bis hin zum Schlachthof.

Den Dombewohnern wird die Niederlagstraße nicht unbekannt sein, konnte man doch vom nordwestlichen Ende dieser, zugegeben wenig bekannten Straße, auf kürzestem Weg auf das linke Oderufer gelangen, zum Schützenplatz, ganz wichtig, auf den Preußenplatz, und durch den Tunnel in den westlichen Teil der Stadt zum neuen Bahnhof.

Die Eisenbahnbrücke, deren Gleise nach Schlesiersee oder in Richtung Schlichtingsheim – Fraustadt führten, war nämlich auch für den Fußgängerverkehr zugänglich. Ein eigens vom Gleisbett getrennter, relativ breiter Fußweg führte über die Brücke, der in Höhe des Schützenhauses den Vorplatz des Alten Bahnhofs erreichte. Es war also ein ganz legaler Weg über die Oder, der in umgekehrter Richtung auf die Niederlagstraße traf. Dazu musste man am Ende der Brücke die Gleise nach rechts überqueren.

Gleichfalls ließ sich der Weg in Richtung der Ostlandbrücke fortsetzen. Er verlief entlang der alten Oder. Man befand sich dann auf dem Domplateau. Die Uferstreifen beiderseits des stillen Wassers wurden als “Glogauer Werder” bezeichnet. Ein riesiger Spielplatz mit ungeahnten Möglichkeiten – aber auch Gefahren – der über die Oderwiesen bis zum Wehr hinaufreichte. Nicht nur die Domer hatten daran ihren Spaß, wie ich mich gut erinnere.

Auf der Spitze dieses Ufergeländes, dort wo die Alte Oder in die Stromoder mündet, gegenüber dem Schützenhaus, stand das wohl zu allen Zeiten unsinnigste Gebäude Glogaus, der “Malakoff”. Seine Erbauer hatten im Jahre 1857 die Idee, diesen festungsartigen Rundbau an der Oder zu errichten für den Fall, dass man die Eisenbahnlinie gegen irgendwelche Feinde verteidigen müsse. Die Einfältigkeit der oberen Kriegsherren war damals, wie könnte es auch anders sein und treffender belegt werden, auch 1857 bemerkenswert naiv.

Die russisch klingende Bezeichnung “Malakoff” für dieses ziegelrote Ungetüm führt tatsächlich auf ein Vorbild aus Russland zurück: Als nämlich 1855 Russland im sogenannten Krimkrieg gegen England und Frankreich in Fehde lag, befand sich der Hauptkampfplatz dieses Waffenganges auf der Halbinsel Sewastopol mit der Bastion Malakoff. Eingedenk dieser Waffentat nannte man den runden Festungsbau auf der nordwestlichsten Landspitze von Glogau an der Oder, Malakoff. Ich vermute mal, dass die Endung . . . kow lauten müsste.

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Fort Malakoff

Seine stets makellos schönen Ziegelmauern musste dieser Turmreduit niemals einbüßen. Er diente, zusammen mit dem Umfeld lediglich den in Glogau stationierten Pionieren als Übungsplatz. Im letzten Krieg bekam er dann sicherlich einige Kratzer ab aber da war er sowieso zu nichts mehr Nütze.

Woher die Niederlagstraße ihren Namen hatte, kann ich Ihnen, liebe Leser, nicht sagen. Leider hat sich auch Julius Blaschke nicht dazu geäußert und in der kleinen Broschüre, “Die heimatlichen Straßen Glogaus 1943”, von Heinz Wittig, ist darüber auch nichts zu erfahren. Vielleicht gibt es aber einen Domer, der uns etwas darüber berichten kann.

Eine Wohnstraße war die “Niederlage” – in einer alten Karte von Glogau so bezeichnet – offenbar nicht. Nur 3 Hausnummern zählen in einem Adreßbuch von 1943 zu ihr. Danach ist in der 1 – 2 eine “Städtische Warmbadeanstalt” untergebracht.

Die Nr. 3 war immerhin 4 Etagen hoch und wurde von 16 Mietparteien bewohnt.

Naheliegend wäre es, den Straßennamen auf “Niederlegen” zurückzuführen. Logisch wäre es allemal, denn auf dem Kopfsteinpflaster am Ufer des Hafens wurde ständig etwas niedergelegt. Die wasserseitige Straßenbegrenzung war nämlich, wie auf dem Titelbild erkennbar, ein Teilstück des Hafenbeckens. Von dort aus wurden Schiffe und Kähne be- oder entladen. Von hier bewegten sich Frachtgüter aller Art auf dem Strom auf- oder abwärts.

Zu unserer Zeit musste man nicht lange warten, den nächsten Frachtkahn oder ganze Schleppzüge auf dem Fluss zu sehen. Das geschäftige Treiben der Schiffsleute, das immer auch den Reiz der Fremde ausstrahlte, ließ sich auf dieser Uferstraße des Domstadtteils erleben.

In Gegenseitigkeit erlebten auch die Schiffer, das wurde mir von Fahrensleuten der Oder, die ich in der Nachkriegszeit kennenlernte, bestätigt, unsere Stadt als beliebten Ankerplatz. Sie machten gern in Glogau fest. Manchmal nur für die Nacht. Mitten im Strom gingen sie dann vor Anker und setzten ihre Positionslichter. Von den Brücken sah man die Schiffe liegen. Wie eine Lichterkette spiegelten sich die Leuchtsignale im Wasser der Oder. Nachts war der Schiffsverkehr auf der Oder nicht erlaubt.

Bemerkenswert ist die Tatsache, das heute kaum noch ein Schiff auf der Oder zu sehen ist. Zuletzt habe ich es 1996 so erlebt.

Die 1000 jährige Geschichte der Stadt und dieser so besonderen Straße, hat 1945 ihren Schlußstrich erfahren. Die Menschen die dort ihrem Tagewerk nachgingen oder wohnten, sind, wie es immer noch so verharmlosend heißt, “evakuiert” oder “umgesiedelt worden”.

Sollte in späterer Zeit jemand nach der Vergangenheit dieses Stadtfleckens suchen und die Geschichte fortschreiben, dann wird ihm hoffentlich für die Jahrhunderte vor 1945 eine wahre Geschichte die Feder führen.

Hans Joachim Gatzka

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