Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 11, November 2020

Erinnerungen an das Heimatdorf Niederfeld (Klein-Gräditz)

Niederfeld

Ein lebhaftes Bauerndorf im Niederungsgebiet der Oder mit Bahnstation, 4 km von Glogau entfernt, mit einer Feldmark von 664 ha. Das Dorf hatte zuletzt etwa 700 Einwohner und gehörte zum Amtsbezirk Biegnitz. Das Dominium gehörte der Stadt Glogau, Pächter war Karl Hubrich. Die Besitzer der Dampfmühle waren Mummerts Erben. Der Ort hatte drei Gaststätten, den Gasthof „Zur Linde, den Gasthof „Zum blauen Stern" und den Gasthof mit Fleischerei von Hedwig Dehmel. Die Geschichte des Ortes geht bis tief in die prähistorische Vergangenheit zurück. Hier bemühte sich sogar der große Gelehrte Rudolf Virchow um die Nachforschung, der 1871 umfangreiche Nachgrabungen vornehmen ließ. Die Chronik besagt, dass hierbei am Gräditzer See wertvolle Feststellungen gemacht wurden. Der Ort ist bereits seit 1302 bekannt. Der Name stammt von GrodBurg. Im Jahre 1687 kaufte die Stadt Glogau von der Hofkammer das Lehngut Kleingräditz für 3000 rheinische Gulden. Es wird den meisten Gräditzern unbekannt sein, dass in ihrem Dorf einmal ein Schloss gestanden hat, das 200 Jahre alt war, sich nahe dem Rabsener Oderdamm befand und 1813 abgerissen wurde. Um nach dem Siebenjährigen Kriege die Glogauer Festungswerke weiter ausbauen zu können, wurde auf dem Dominialgut eine Ziegelei zur Herstellung von Mauerziegeln errichtet.

Während der Belagerung Glogaus 1813/ 1814 verließen die meisten Bewohner von Kleingräditz das Dorf. Um dem Holzmangel des bevorstehenden Winters vorzubeugen, rissen die Franzosen, die in Glogau von Preußen und Russen belagert wurden, das Dorf vollständig nieder und schafften das dabei gewonnene Holz sowie alle Getreidevorräte auf Kähnen in die Stadt. Nach der Befreiung Glogaus von der Franzosenherrschaft durften verschiedene Anlagen im Umkreis der Festung nicht wieder errichtet werden. So wurde bestimmt, dass das ehemalige Dorf Kleingräditz, von dem nur noch einige massive Mauern stehen geblieben waren, an der alten Stelle nicht mehr aufgebaut werden durfte.

1829 wurde das Kammergut Kleingräditz von der Stadt Glogau an den Hauptmann L. v. Jagwitz verpachtet, dem der König 1840 den erblichen Adel verlieh. Die Familie von Jagwitz, früher freiherrlichen Standes, war nach der Schlacht am Weißen Berge 1621 aus Böhmen geflüchtet; ihr wurde bei der Adelung das alte Wappen verliehen. Der Name Jagwitz ist eng mit der Geschichte der Stadt und des Kreises Glogau verknüpft Von 1782 bis 1827 amtierte in Glogau der Oberlandesgerichtsrat Friedrich Gottlieb Jagwitz. Sein Sohn Ludwig erwarb 1835 das Gut Biegnitz und blieb bis zu seinem Tode Pächter des oben genannten Gutes. Der Sohn des letzteren starb 1881 als Landrat des Glogauer Kreises. Danach war Besitzer des Familiengutes Biegnitz der als Politiker und Militärschriftsteller hochgeachtete Generalmajor z. D. Ludwig Friedrich von Jagwitz. Zuletzt war es Oberstleutnant Wilhelm von Jagwitz.
Die Entwicklung des Dorfes im 19. Jahrhundert nahm einen erfreulichen Verlauf und wurde noch gefördert durch den Anschluss des Dorfes an das Eisenbahnnetz der Strecke Glogau Fraustadt Lissa im Jahre 1857. 1854 überschwemmte das Oderhochwasser auch die Felder von Kleingräditz. Die Ernte wurde fortgeschwemmt und die Äcker mit Sand überschüttet.

1893 wurde der neue Friedhof angelegt, ein Jahr später erhielt das Dorf ein neues Schulhaus und am 31. Oktober 1902 wurde die neue Kapelle an der Dorfstraße eingeweiht. Nach dem 1. Weltkrieg entstand eine umfangreiche Neusiedlung. Die Einwohnerzahl stieg von 406 im Jahre 1845 auf etwa 700 im Jahre 1943.

Die Gemeindeverwaltung setzte sich 1943 wie folgt zusammen:
Bürgermeister: Korbmachermeister Erich Weiße;
Beigeordnete: Bauer Wilhelm Pohl, Bauer Paul Schubert;
Gemeinderäte: Zimmermann Paul Urban, Bauer Alois Altwasser, Weichenwärter Paul Jokisch, Schlosser Hermann Stock;
Kassenwalter: M. Weiße;
Amtsvorsteher: Schlosser Wilhelm Fröhlich.
Für die ev. Gemeindemitglieder war die ev. Kirche in Glogau zuständig, für die kath. Gemeindemitglieder die Kirche in Rabsen.

Groß- und Kleingräditz

Ist Großgräditz größer als Kleingräditz oder ist Kleingräditz größer als Großgräditz? Welcher der beiden Orte war bekannter, Großgräditz oder Kleingräditz? Bei welchem Orte lag einst der Gräditzer See?
Die Leser werden sagen (mit Aus¬nahme der früher in den Dörfern be¬heimatet Gewesenen), das seien unnütze Fragen, denn selbstverständlich sei Großgräditz größer gewesen als Klein¬gräditz, deshalb hieß es doch Gro߬gräditz. Falsch, umgekehrt war die Sache! Kleingräditz war größer als Großgräditz. Und nebenbei auch viel bekannter.
Großgräditz, fast 17 Kilometer von Glogau entfernt halbwegs zwischen Gramschütz und Raudten gelegen, ohne Bahnanschluss, hatte in den 30er Jahren rund 250 Einwohner, Kleingräditz, in einer Entfernung von etwas über zwei Kilometer an der Bahnlinie Glogau-Fraustadt-Schlawa gelegen, besaß zur gleichen Zeit fast 800 Einwohner. Großgräditz hatte ein Rittergut mit Vorwerk Grögersdorf, sowie 46 Stellen, Kleingräditz dagegen ein Rittergut, ein Freigut, und 52 Stellen.
Tief in die prähistorische Vergangen¬heit weist die Geschichte beider Orte. Bei Großgräditz interessierte die Altertumsforscher der Opferberg, bei dessen Durchgrabung allerhand gefunden wurde, das wohl aus der Eisenzeit stammte. Noch stärker aber nahm Kleingräditz die Wissenschaftler in An¬spruch; dort bemühte sich sogar der große Gelehrte Rudolf Virchow um die Nachforschung, der 1871 umfangreiche Nachgrabungen vornehmen ließ. 1904 ergab die Feststellung des Stadtgebietes, dass von Kleingräditz eine Fläche von 265,83 Hektar Eigentum Glogaus war.