Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 9 September 2020

Erinnerungen an das Heimatdorf Nenkersdorf

mit Siedlung Oderwald

Nenkersdorf

Sie sind wieder da! Die Störche von Nenkersdorf

261 Einwohner / 491 ha Feldmark / An der Chaussee Glogau-Neusalz / 18 km von Glogau / Bahnstationen Beuthen/Oder und Alteichen.

Das Dorf liegt in unmittelbarer Nähe der Oder. Am jenseitigen Flussufer steht die stärkste Eiche des Kreises Glogau mit 8,75 m Umfang, sie wurde zum Kulturdenkmal erklärt. Daneben steht eine fast ebenso große Eiche. Beide erhielten den Namen „Nenkersdorfer Fähreichen", ihr Alter ist mindestens 800 Jahre. Gewaltig erhoben sie sich über dem Oderwald, einem Wald, der in seiner prachtvollen Urwüchsigkeit an sich kaum seinesgleichen hatte, der wie ein Stück übriggebliebenen Urwaldes war und wohl nicht viel anders ausgesehen haben mochte, als noch Bär und Auerochs in ihm ihr Unwesen trieben. Indem sie ihre Wipfelarme weit und machtvoll ausstreckten, beanspruchten diese beiden Baumriesen einen großen Luftraum, unter dem nur dürres Gras wuchs und Blumen blühten, die auch im Schatten gediehen, während Unterholz nicht geduldet wurde.
Damals lebte hier das germanische Volk der Vandalen, das aber in den Zeiten der Völkerwanderung, wie andere Völker auch, von jenem rätselhaften Wandertriebe erfasst war, in dem Abenteuer und Eroberungslust wie auch ein sehnender Drang in die Ferne zum Durchbruch kamen. Nur ein geringer Teil dieses Volkes blieb in den alten Wohnstätten. In den folgenden Jahren sickerten slawische Volksstämme in die verlassenen und nur noch dünn besiedelten Gebiete ein und machten sich sesshaft. Wieder ein paar Jahrhunderte später, zu einer Zeit, als unsere Eichen sicher schon stattliche Bäume waren, hat ihnen gegenüber auf dem hohen Oderufer der deutsche Kaiser Barbarossa mit einem Heere gelagert und den Anstoß gegeben, dass die Gebiete links und später auch rechts der Oder wieder nach und nach durch einwandernde, und zwar sehr willkommene deutsche Kolonisten aus dem Westen zu einem deutschen Lebensraum wurden, in dem nun Zivilisation und Kultur üppig und in reicher Mannigfaltigkeit emporblühten. Einen ausführlichen Bericht über die Eichen brachte der NGA in seiner Ausgabe Oktober 2007.
Aus vorgeschichtlicher Zeit wurde bei Nenkersdorf ein Einbaum gefunden. Der Ort gehörte bis ins 15. Jahrhundert zum Herzoglich Glogauischen Anteil der Piasten. Das Gut Nenkersdorf ging Mitte des 17. Jahrhunderts in den Besitz der Glogauer Jesuiten über, die es verpachteten und den Erlös für sich verbuchten. Im Zuge der Gegenreformation erhielt der Fürst von Carolath das Gut 1759 wieder zurück. In Nenkersdorf und Bösau wurden im 19. Jahrhundert Braunkohlen gefördert.
Viele Nenkersdorfer werden sich noch gern an den schönen Anblick des Storchenpaares erinnern, das in der Mitte des Dorfes auf der Scheune des Bauern L. Hoffmann (letzter Besitzer G. Christoph) nistete.
Hierzu schickte uns vor Jahren einmal Hfrd. Otto Hoffmann eine Fabel mit einem wehmütigen Nachruf:

Durch Nenkersdorf, nun horch,
Ging gestern früh ein Storch.
S' war so ungefähr halb neun,
Er suchte eifrig seine Scheun',
Auf der er jährlich hatte oben
vier Storchenkinder großgezogen.
Er konnt' die Scheune nicht mehr finden,
Der letzte Krieg ließ sie verschwinden.
Da wurd' er traurig, wie einst auch ich,
Denn er hatte keine Heimat nich'.
Und noch ein Storch, der flog rundum
Ums Nenkersdorfer Dorf herum.
Ihm ging's auch wie dem Storche unten,
Er hat sein Nest nicht mehr gefunden.
So flogen betrübt zwei Störche fort
Aus unserm — ihrem Heimatort.
Bruno Kurzke

Die Gemeindeverwaltung setzte sich 1943 wie folgt zusammen:
Bürgermeister: Bauer Paul Klose
Beigeordnete: Bauer Otto Handke und Landwirt Hermann Hoffmann
Gemeinderäte: Bauer Alfred Hoffmann, Bauer Artur Lehsten, Angestellter Herbert Fritsch, Bauführer Willi Erfurth, Schrankenwärter Richard Hoffmann und Landwirt Hermann Göldner;
Kassenwalter: Landwirt Hermann Hoffmann.
Der Ort gehörte zum Amtsbezirk Beuthen (Bez. Liegnitz). Hier befanden sich alle anderen Dienststellen sowie Kirchen und Schule. Der Besitzer des Restgutes (Dominium) war Gottwalt Lehmen, der auch die Ziegelei bewirtschaftete. Inhaber der Gaststätte „Zu den drei Bergen" war Frau Elisabeth Matuschek. RH†

Zuckerfabrik Nenkersdorf

Die Nenkersdorfer Zuckerfabrik lag in der Luftlinie etwa 0,5 km von Nenkersdorf entfernt, direkt an der Oder. Dort habe ich die ersten 12 Jahre meiner Kindheit verbracht, bis meine Eltern nach Glogau zogen.
Von der eigentlichen Zuckerfabrik waren 1930 nur noch Reste vorhanden. Zum Beispiel große ausgemauerte Gruben, unterirdische Kanäle und Fundamente. Dasselbe galt auch für die Stärkefabrik, die dort einmal stand. In Ordnung und saisonweise in Betrieb war nur die Ziegelei, die dicht neben der Zuckerfabrik an der Oderlrag. Zwischen Zuckerfabrik und Ziegelei war auch der Schacht des ehemaligen Braunkohlenbergwerks Nenkersdorf. Er stand voll eiskaltem Wasser.
Am Oderufer der Zuckerfabrik waren noch die gemauerten Anlegeplätze der Schiffe zu erkennen. Man wird dort Zucker, Stärke und Braunkohle verladen haben. Aber, wie gesagt, außer der Ziegelei war alles verfallen.
Gut im Stand waren dagegen die Häuser, die früher wohl einmal den Angestellten der Zuckerfabrik als Wohnung dienten. Es gab auch ein sogenanntes „Schloss" mit Park. Zu meiner Zeit wohnten in diesen Häusern etwa 12 Familien. Arbeiter und pensionierte Beamte, auch der im Aufsatz über Nenkersdorf genannte Altbauer Linus Hoffmann verbrachte seinen Lebensabend dort.
Es wohnte sich gut in der Zuckerfabrik, wenn es auch kein elektrisches Licht gab. Das Wasser wurde von der „Plumpe" geholt. Aber es gab Platz genug für alle; genug Stallungen für Kleinvieh. Jeder hatte ein schönes Stück Gartenland (gute Zuckerrübenerde). Die Pacht für Wohnung und Acker ging nach Carolath, wenn ich mich recht erinnere.
In meiner Erinnerung wohnten lauter liebe Leute dort. Ich sehe sie noch alle vor mir und weiß ihre Namen. Da war z. B. die alte „Muttel" Dietrich, wie sie liebevoll genannt wurde. Sie hat in der Blütezeit der Zuckerfabrik die Kantine geführt. Gewiss hätte sie manches aus alten Zeiten erzählen können. Ja, man soll alte Leute wirklich fragen, solange es sie noch gibt. Rückschauend meine ich, einer der damaligen Herren vom Schloss muss ein großer Gartenfreund gewesen sein. Er hat sich ein bleibendes Denkmal gesetzt, indem er im Park und um das Schloss herum Jasmin und Flieder aller Arten und Farben in verschwenderischer Fülle gepflanzt hat. Flieder stand auch gegen die Oder zu in riesigen Büschen. Im Frühjahr kamen auf einer Wiese immer noch Narzissen. Das Schönste aber für mich waren die vielen duftenden Veilchen. So etwas habe ich nirgends mehr gesehen. Veilchen von rein weiß über gesprenkelt, hellblau bis dunkelblau in großen Polstern. Vor dem Schloss standen mächtige alte Linden. Die Zuckerfabrik war an der Seite nach Beuthen hin von einer langen Mauer mit zwei Toren abgeschlossen. Für uns Kinder war es ein Paradies voller Abenteuer. Die unterirdischen Gänge, das Oderufer, leerstehende Gebäude, lange Heuböden und der Ringofen der Ziegelei. Wie schön konnte man dort verstecken spielen. Nur der Ziegelmeister durfte einen nicht erwischen. An der Ziegelei nahmen öfter Kähne Ziegel über. Eine kleine Freundin auf so einem Kahn aus Fürstenberg ließ mich einmal die winzigen Wohnräume der Schiffer sehen. Die Schiffer nahmen gern in der Zuckerfabrik Frischwasser. Früh im Morgengrauen hörten wir dann den Oderochsen brüllen.

An den Abenden und Sonntagen im Sommer saßen die Zuckerfabrikler gern an der Oder. Wir kannten alle Motorschiffe und Dampfer mit Namen. Z. Zt. der Fliederblüte fuhren die Glogauer mit Musik und fröhlich winkend auf Motorschiffen nach Carolath an uns vorüber.
Gar nicht mehr lustig waren die drei Glogauer, die als Ertrunkene bei uns geborgen wurden. Zwei sehr junge Männer und ein Pastor, soviel ich noch weiß. Unser Kunze August wusste genau, wo die stillen Gäste antrieben. Er hat einige mit seinem Kahn geborgen. Mit frischem Schilf bedeckt warteten sie dann auf ihren Abtransport nach Glogau. Ein junger Mann aus Berlin, zu Gast in der Zuckerfabrik, ertrank vor unser aller Augen in einem Strudel. Ja, unsere gute alte Oder konnte auch tückisch sein. Sie schenkte aber auch Freuden, z. B. baden an der Nenkersdorfer Fähre. Fährmann Hahn gab Schwimmunterricht, aber auch Herr Fink aus der Zuckerfabrik, ein ehemaliger Inspektor in Carolath. Wir hatten es nahe an die Fähre, nur etwa 5 Minuten auf dem Oderdamm zu gehen. Die Nenkersdorfer kamen den langen Milchberg herab und mussten dort auch wieder hinauf. Wie mühsam mag dieser Weg für die Gespanne gewesen sein, die die Fähre benutzten. Aber im Winter war es ein prächtiger Schlittenberg. Dort waren manchmal auch Segelflieger mit ihren Gleitern.
Viel wüsste ich noch zu erzählen von Nenkersdorf und der Zuckerfabrik. Wie viele Nenkersdorfer wissen, dass ihr Dorf seinen Namen einem Kastellan namens Nenker verdankt? L. Schilk †