Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 7, Juli 2002

Der Bahnhof in Glogau

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Eigentlich müsste es heißen: “Der Neue Bahnhof” in Glogau. Im Mai 1935 wurde er an dieser Stelle eingeweiht und dem Verkehr übergeben, an der er heute noch, fast unversehrt und unverändert, steht.

Die geradlinige Zweckarchitektur des Gebäudes erinnert unübersehbar an die Vorgaben der Bauhauslinie. Trotz seiner schlichten Fassadengestaltung und Gliederung der Einzelobjekte, bildete das Bahnhofsgebäude für eine Stadt der Größenordnung wie Glogau, ein Schmuckstück für die Oderstadt.

Das Gebäudeensemble, bestehend aus dem Hauptgebäude in der Mitte, der Wartesäle I. und II. Klasse links, sowie des Postamtes rechts, lag als Abschluss vor einer gepflegten, großzügig gestalteten Grünanlage, umgeben von breiten Straßen.

Zugleich mit dem Bau der Gesamtanlage, entstanden auf der Ostseite des Bahnhofsvorplatzes, beginnend an der Hohenzollernstraße, eine Reihe moderner Wohnhäuser, deren komfortable Ausstattung kaum Wünsche offen ließ.

Die technische Ausstattung des Bahnhofes und dessen Anlagen, war durch kurze Wege zu den Bahnsteigen hervorragend gelöst. Vom Inneren des Hauptgebäudes, in dem die Kartenschalter, die Gepäckannahme und –ausgabe, sowie sonstige bahntechnischen Einrichtungen untergebracht waren, gelangte der Reisende über eine wind- und wettergeschützte Brücke zu den Gleisen.

Die Hauptrichtungen über deren Gleise man Glogau verließ, waren nach Südosten Liegnitz und Breslau bis nach Oberschlesien. Nach Norden und Nordosten über die Oderbrücken nach Lissa, Posten und schließlich nach Nordwesten, über Beuthen, Neusalz, Frankfurt/O., Berlin und das übrige Reichsgebiet.

Der Neubau des Bahnhofes an diesem Standort wurde damals dringend notwendig, weil der alte Bahnhof dem ständig zunehmenden Verkehrsaufkommen nicht mehr standhalten konnte.

Glogau war als Kreisstadt, Gerichtsstandort und Garnison zu erheblicher Größe gewachsen. Seine geografische Lage an der Oder ließ die Stadt zu einem Verkehrsknotenpunkt werden, ganz abgesehen vom Güterumschlag im westlichen Teil der Bahnanlagen bis hin nach Beichau, der durch diese Stellung ein beachtliches Volumen entwickelte.

Die Statistik von 1939 weist 41 Züge aus, die im Glogauer Bahnhof hielten oder durchfuhren. In diese Zählung sind nicht eingeschlossen, die vielen Zugbewegungen, welche in die nahe Nachbarschaft fuhren, also etwa nach Glogischdorf, Schlesiersee u.ä. - Insgesamt hatte sich der Bahnverkehr von 1914 bis 1939 um 38 % gesteigert.

Der Güterbahnhof

Das machte bereits vor dem Neubau eines Personenbahnhofs den Ausbau der Güteranlagen erforderlich. Über die Vorstadt hinaus, bis nach Beichau erstreckten sich die Rangiergleise, Rampen, Abrollberge und Verladeeinrichtungen. Ein Lokomotivschuppen und Werkstätten machten jede bahntechnische Organisation möglich. Bereits im mai 1924 konnte diese Anlage ihren Betrieb aufnehmen.

Noch heute habe ich den Signalton der Rangierloks im Ohr, der bis weit in die Umgebung, bei Tag und bei Nacht in der Luft lag. Immer ein wenig heiser hörte sich das Pfeifen der Loksignale an, wie Abschiedsschmerz.

Der Alte Bahnhof

Für den alten Bahnhof hatte das letzte Jahrzehnt bereits 1925 begonnen, nachdem er Anfang der 90er Jahre, nach dem Brand des ersten Gebäudes, dem Verkehr übergeben wurde. Bereits damals begann eine rasante Entwicklung des Bahnverkehrs. Man bedenke, dass die erste, Glogau berührende Bahnlinie, Glogau - Sagan - Hansdorf, erst ab 1.11.1846 verkehrte.

Das Bahnhofsgebäude, mit seiner fast gemütlich wirkenden Fachwerkfassade und dem Türmchen für die Uhr über dem Giebel, zeigte sich dem Reisenden in voller Breite, bereits aus weiter Entfernung. Wenn man die Bogenbrücke, die am E.-Werk über die nach Breslau führenden Gleise passiert hatte, lief oder fuhr man direkt auf den großen Vorplatz zu, den der breite Giebelbau wie ein Riegel abschloss. Über einen zweiten Zugang, einem Tunnel, der seinen Eingang gegenüber dem Hotel “Hindenburg” hatte, erreichte man den Bahnhof ebenfalls. Am Ende dieses Übergangs betrat man direkt den Platz vor dem Bahnhof. Rechts lagen nun die Gleiskörper nach Fraustadt - Lissa über die Oderbrücken und links jene die nach Liegnitz, Breslau und weiter in den Südosten des Schlesierlandes führten.

Eine Idylle im Aufbruch des Industrie-Zeitalters, die nun ausgedient hatte, weil der sprunghafte Anstieg des Verkehrsmittels Eisenbahn es erforderlich machte.

Ein neuer Bahnhof musste her. Das war garnicht so einfach, zumal auch der Fachwerkbau schon allein dadurch nicht besonders beliebt war, weil er nur sehr beschwerlich zu erreichen war.

Man kann es daher als eine planerische Hochleistung bezeichnen, den neuen Bahnhof nur um wenige Meter nach Westen, an den gleichen Gleisanlagen aufzubauen, indem man das Empfangsgebäude nicht zwischen, sondern südlich neben die Gleiskörper setzte.

Die Vorlaufzeit für die Planung eines solchen Objektes, darf mit vielen Jahren angesetzt werden. Sei fand also mit Sicherheit zu einer Zeit statt, als Glogau noch ohne ideologische Hilfe auskam.

Die Reisenden

Wer waren nun die Nutzer und Benutzer, schlechthin die Reisenden, die nach Glogau kamen oder die Stadt per Bahn hinter sich ließen? - Einen Reiseboom, wie wir ihn heute erleben, gab es nicht. Nur wenige Bürger konnten es sich leisten in die Sommerfrische an die See oder in die Berge zu fahren. Fernere Regionen waren vermutlich noch seltener gefragt.

Man fuhr nach Breslau, in die schlesische Metropole und wenn es hoch kam nach Schreiberhau oder Krummhübel, also ins Riesengebirge. Näher gelegene Ziele hatten jedoch eindeutig den Vorrang.

Noch heute sehe ich mich im Kreise der Familie nach Breslau reisen. Eine enorme Herausforderung an Taktik und Planung, wie es mir damals schien. Ganze 99 Bahnkilometer betrug die Reiseroute Glogau - Breslau. Die Holzklasse der Personen-Coupees, in ihrem lichtgelben Naturglanz, war nicht gerade eine bequeme Sache aber das tat der aufregenden Neugier keinen Abbruch. Das Reisefieber kannten wir also mit all seinen Auswirkungen, wie Brechreiz, nervösem Zappeln an allen Gliedern undsoweiter. Es begann schon Tage vor Reiseantritt und steigerte sich auf dem Perron bei Einlaufen des Zuges zu höchster Frequenz. Der Geruch innerhalb der Bahnanlagen - ein Gemisch aus Dampf und Schmieröl mit einem gewaltigen Schuss von Kohle und Ruß – tat ein Übriges, das Wohlbefinden zu steigern oder völlig aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Mutter hatte in besorgender Voraussicht und in der steten Angst, wir könnten bis Breslau verhungern, Berge von Stullen und hartgekochte Eier in der Reisetasche verstaut. Äpfel, Apfelsinen und eine Thermosflasche fehlten selbstverständlich auch nicht in ihrer Proviant-Logistik.

Vor oder spätestens hinter Gramschütz begann dann der Vorrat Lücken aufzuzeigen. Der erste Akt der Reise nach Breslau war beendet und die Eierschalen fein säuberlich entsorgt.

Der Zoo-Besuch in Breslau und anderer Kulturdenkmäler der schlesischen Hauptstadt bildeten, neben einer Aufwartung bei Tante Trudel, den Höhepunkt solch innerdeutschen Bahnfahrt.

Weniger aufwendig ging es zu, wenn wir etwa nach Glogischdorf “in die Blaubeeren” fuhren oder nach Schlawa an den See, mit einem Besuch bei Tante Rose.

Größere und weitere Reiseziele blieben vorerst in der Schublade – es war einfach nicht üblich. Getrost kann man sagen, dass der Durchschnittsglogauer damit sein Fernweh befriedete.

Die Eisenbahnpassagiere, welche nach Glogau kamen um ähnliches zu erleben oder aus anderen Motiven die Stadt am Bahnhof beraten, mögen in der Überzahl gewesen sein. Ich denke dabei auch an die vielen sogenannten “Fahrschüler” der Glogauer Schulen. Bis zu 20 km betrug nicht selten deren Fahrstrecke, die sie vor und nach dem Unterricht täglich zu bewältigen hatten.

Auch aus dem Umland der Stadt kamen viele Reisende, denn Glogau hatte mit seinen Kauf- und Warenhäusern, sowie den gut sortierten Einzelhandelsgeschäften ein Warenangebot, das seines Gleichen suchte.

Nicht wenige Bräute und Frauen der in den Kasernen stationierten Soldaten haben mit klopfendem Herzen den schönen Platz vor dem Bahnhof betreten und brachten die frischgebackenen Rekruten der Glogauer Garnisonen zum Strahlen vor Glück.

Auch in umgekehrter Richtung hat so manch Uniformierter, den Urlaubsschein im Gepäck, seinen Heimaturlaub auf den Glogauer Bahnsteigen angetreten. - Welch‘ ein erhebendes Gefühl, das in späterer Zeit eine unendliche Steigerung erfuhr.

Kam man als Heimaturlauber von irgendeiner Front - deren wir ja einige hatten - auf einem Glogauer Bahnsteig an, was das Glücksgefühl nicht mehr steigerungsfähig. Die ersten Atemzüge die man im vertrauten Geviert aufnahm, hatten jenes unbeschreibliche Erkennungszeichen von Heimat, von Zuhausesein und Geborgenheit. Von nun ab hütete man jede Sekunde, wie ein Verdurstender den letzten Wassertropfen.

Nicht vergessen möchte ich auf dieser Passagierliste die Reisenden, jene Glogauer Mitbürger, die in bewachten Gruppen, mitunter auch als Einzelreisende vom Bahnhof Glogau eine Reise antraten, deren Ziel ihnen unbekannt, ja sicherlich unheimlich war. Niemand wusste wohin die Waggons rollen würden. Diskret und möglichst unauffällig geschah das alles. Nur wenige überlebten am Ziel ihrer Fahrt. - Gott sei mit Ihnen!

Das Ende unseres Bahnhofes

Das letzte Kapitel des Glogauer Bahnhofs begann fast auf den Tag genau 10 Jahre nach seiner Einweihung. Die Einwohner einer ganzen Stadt, traten binnen weniger Tage von dort eine Reise in die Ungewissheit an. Etwas so Ungeheuerliches, das es bisher nicht gab, was niemand in seiner ganzen Tragweite je begriff, vollzog sich wie der Schlussakt einer Tragödie.

Jeder, ob Frau, Kind oder Greis trug sein Bündel mit sich. Angsterfüllt fiel der Blick noch einmal auf die unversehrte schöne Stadt, die Heimat war seit Jahrhunderten. Ein erbarmungsloser Abschied in der Apokalypse der Heimatstadt, das bisherige leben, Hab und Gut zurücklassend - für immer.

Ein stolzer Preis - ein Bahnhof und eine ganze Stadt!

Ein Makel für die Welt!

Hans J. Gatzka

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